Wie Klimawandel
auf die Psyche geht

Schmelzende Eisberge gehören zu den bedrohlichen Folgen des Klimawandels. Foto: Pixabay

Der Klimawandel gefährde auch die psychi­sche Gesundheit, und der psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlungsbedarf werde steigen, warnten Experten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Ner­ven­heilkunde (DGPPN) bei der Vorstellung  der „Berliner Erklärung zu Klimawandel und psychischer Gesundheit“ –  zeitgleich zur im ägyptischen Scharm El-Scheikh laufenden  UN-Klimakonferenz. So gehörten zu den Folgen von Naturkatastrophen auch mehr Depressionen, Angst- und Traumafolgestörungen. In dem Berliner Papier werden auch neue Syndrome bzw. Begriffe wie  Eco-Distress (emotionale Reaktionen angesichts der Umweltzerstörung), Solastalgie (Trauer angesichts der Umweltzerstörung der Heimat) und Klimaangst (climate anxiety, Befürchtung, in Zu­kunft selbst direkt vom Klimawandel betroffen zu sein) benannt. Und es werden  konkrete Handlungsempfehlungen für die Psychiatrie, die Versorgung und die Forschung gegeben. 

Die Bandbreite der skizzierten Gefahren ist groß. Eine Meta-Analyse zeigt, dass Menschen, die Naturkatastrophen miterlebt haben, ein fast doppelt so hohes Risiko für eine psychische Erkrankung aufwiesen, verglichen mit Menschen ohne eine solche Erfahrung. Eine wachsende Zahl an Studienbefunden weise außerdem auf einen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und dem Risiko, psychisch zu erkranken hin, z. B. an Depression, ADHS und Schizophrenie, heißt es in dem DGPPN-Positionspapier weiter.  In einer großen Meta-Analyse konnte den Angaben zufolge ermittelt werden, dass ein Anstieg der vor allem durch Straßenverkehr verursachten Feinstaub-Belastung kurzfristig mit mehr psychiatrischen Notfällen und erhöhter Suizidalität in den folgenden Tagen einhergehe. Über einen längeren Zeitraum zeige sich außerdem eine steigende Depressionsprävalenz in Zusammenhang mit erhöhter Feinstaubbelastung. 

Risikofaktor für hitzebedingte Todesfälle

Psychische  Erkrankungen gehörten zu den wichtigsten Risikofaktoren für hitzebedingte Todesfälle. „Sie verdreifachen das Mortalitätsrisiko während Hitzewellen und sind damit schwerwiegender als kardiovaskuläre oder Lungenerkrankungen. Das höchste hitzebedingte Mortalitätsrisiko haben Menschen mit substanzbezogenen Süchten und organischen psychischen Störungen wie z. B. Demenzen“, heißt es weiter. Eine 2021 veröffentlichte Meta-Analyse zeige, dass pro 1-Grad-Celsius Temperaturanstieg ein 0,9 Prozent höheres Risiko für psychische Erkrankungen existiere. Und: Je mehr Hitze desto mehr (Not-)Aufnahmen in psychiatrische Kliniken. 

Forscher vermuten zudem einen kausalen Zusammenhang zwischen Hitze und Aggressivität:  Psychiatrische Kliniken würden mehr aggressive Zwischenfälle verzeichnen, je höher die Temperaturen.  Hinzu kommen indirekte Folgen des Klimawandels wie Nahrungsmittelknappheit, ökonomische Krisen, gewaltvolle Konflikte und unfreiwillige Migration stellen zusätzlich massive psychische Risiko- und Belastungsfaktoren dar.  

Was ist zu tun? 

Die Prävention solle gestärkt werden, um das Versorgungssystem insgesamt zu entlasten, Ressourcenverschwendung und CO2-Ausstoß eingedämmt, Medikamenten und Materialverbrauch  optimiert werden (z. B. Abdosierung prüfen). Weitere Stichworte: Mehr Mehrwegprodukte und digitalisierte Behandlung, Behandlung ambulantisieren (klimafreundlicher als stationäre Behandlung),  Verringerung von Obdachlosigkeit und sozialer Isolation,  ausreichende Grünflächen in psychiatrischen Einrichtungen schaffen.  Dringender Forschungsbedarf bestehe zu den neu auftretenden Syndromen wie „Solastalgie“ und „Klimaangst“.  

Die DGPPN will mit gutem Beispiel vorangehen, strebt Klimaneutralität bis 2030 an und hat sich zu klimaschonenden und energiesparenden Maßnahmen im Bereich der Finanzwirtschaft, in Bezug auf den DGPPN Kongress sowie die DGPPN-Geschäftsstelle verpflichtet.  (rd)

Als „Zehn zentrale Handlungsempfehlungen für eine klimaneutrale Psychiatrie“ sind in dem  Positionspapier „Klima und Psyche“ (download unter www.dgppn.de) aufgelistet: 

– Mehr Prävention z. B. durch Planung ausreichender und zugänglicher Grünflächen in Ein- richtungen des psychiatrischen Hilfesystems, wie Zugang zu verschatteten Gärten mit Bäumen statt nur „Freiflächen“ bei Unterbringung nach PsychKG, Verringerung von Obdachlosigkeit und sozialer Isolation.

– Mehr Empowerment innerhalb des psychiatrischen Versorgungssystems (z. B. Förderung Selbstsorge, Peer Support und Zugang zu Psychotherapie).

– Integration der Thematik „Klima und Psyche“ in psychiatrischer Aus-/Fort-/Weiterbildung, Behandlung und Gestaltung der Hilfesysteme sowie Forschung (Erforschung der Folgen des Klimawandels und Entwicklung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen).

– Klinik- und Praxisinfrastruktur zur Energiewende nutzen (z. B. Installation von Photovoltaik, finanzierbar z. B. durch Contracting), Bezug von Ökostrom, Dämmung und Verschattung statt Klimaanlage (wo möglich), energetische Sanierung unter Beachtung von „grauer Energie“, d. h. Energie für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung).

– Adaptation der Institutionen in der Psychiatrie an erwartbare Umweltveränderungen, z. B. Anpassung der Klinik- und Praxisinfrastruktur an Hitze, Anpassung an Zunahme von Depressionen, Angsterkrankungen und psychotischen Erkrankungen.

-Vermeidung von Ressourcenverschwendung im Behandlungsablauf: Leitliniengerechte Optimierung des Medikamenten -und Materialverbrauchs (z. B. Abdosierung prüfen, Einsatz von Einwegprodukten minimieren, Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen), Reduktion wenig gewinnbringender Prozesse.

-Reduktion von motorisiertem Individualverkehr, z. B. Mobilität durch Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen (z. B. durch digitale Behandlungsoptionen, digitale Besprechungen/ Konferenzen), um zur Reduktion der CO2-Emissionen und Schadstoffbelastung beizutragen.

-Umsetzung einer vornehmlich pflanzenbasierten Verpflegung mit einem maximal geringen Anteil tierischer Produkte in Kliniken (Orientierung an Planetary Health Diet oder Empfeh- lungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V.), da die pflanzenbasierte Ernährung dem Umweltschutz und der allgemeinen Gesundheit dienlich ist.

-Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei der Beschaffung und Finanzierung (z. B. bei Anlageentscheidungen, im Einkauf oder bei der Forschungsfinanzierung).

-Marketing für Nachhaltigkeit über Klinik- oder Praxiskommunikation (z. B. Klimasprechstunde).