Vom Umgang mit
Verschwörungsdenken

FAKE – Die ganze Wahrheit heißt eine Sonderausstellung, die noch bis März 2023 im Deutschen Hygiene Museum in Dresden zu sehen ist. Im Museum wurde dafür ein „Amt für die ganze Wahrheit“ eingerichtet. Besucherinnen und Besucher werden auf ihrem Parcours durch fiktive Behördengänge ausdrücklich zur aktiven Mitarbeit animiert. Mehr zur Ausstellung unter https://www.dhmd.de Foto: Oliver Killig / www.killig.com/agb

Das Aufkommen von Verschwörungserzählungen und die Auseinandersetzung mit Verschwörungsgläubigen stellt Haupt- und Ehrenamtliche der Sozialen Arbeit vor besondere Herausforderungen. Wie damit umgehen? Der Paritätische hat im Internet eine Seite eingerichtet, auf der Tipps gegeben werden. Dass mit den Handlungsempfehlungen Verschwörungsgläubige von ihren Überzeugungen abgebracht werden können, glauben die Verantwortlichen aber selber nicht. Zu recht, denn Studien scheinen zu bestätigen, dass Verschwörungserzählungen wie Drogen wirken und durch Dopaminausschüttung für Glücksgefühle sorgen. Dies könnte ein Grund sein, warum so wenige von ihnen wieder loskommen.


Gesellschaftliche Krisen und Umbrüche waren schon zu allen Zeiten der Nährboden für Verschwörungserzählungen. Ob Kriege, Pandemien, Hungersnöte oder Naturkatastrophen – Menschen suchten immer als Ausgleich zur eigenen Verunsicherung nach Erklärungen für die Katastrophen – und gerne nach Sündenböcken. So ist es leider auch heute, wovon auch SozialarbeiterInnen ein Lied singen können. Sie haben es vermehrt mit KlientInnen zu tun, die Corona leugnen, Masken verweigern oder mit abstrusen Verschwörungserzählungen und rassistischen Ausfällen auffällig werden. Für die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter ist dies eine Herausforderung: Wann sollte man sich selber zurücknehmen, wann eine klare Kante zeigen, auch auf die Gefahr hin, dann den Klienten zu verlieren?

„Faktenbasierte Argumentation in den meisten Fällen nicht erfolgversprechend”


Ein Leitfaden des Paritätischen gibt neben Hinweisen, wie Verschwörungsnarrative zu identifizieren sind, auch Tipps, wie im Gespräch mit verschwörungsgläubigen Personen umgegangen werden sollte. Dabei gibt man sich keiner Illusion hin: „Fest an Verschwörungserzählungen glaubende Menschen auf der Ebene von faktenbasierter Argumentation – Stichwort Faktencheck – zu begegnen ist in den allermeisten Fällen nicht erfolgversprechend, da Widersprüche und abweichende Meinungen im verschwörungsideologischen Weltbild nicht akzeptiert und sogar als Angriffe gewertet werden können.“ Der Verweis auf Erkenntnisse, welche die Gültigkeit der Verschwörungserzählung in Frage stellen, könne von Verschwörungsgläubigen oft als Beweis gedeutet werden, selbst Bestandteil der Verschwörung zu sein. „Gespräche auf dieser Ebene können daher schnell eskalieren“, wird gewarnt.

Schweigen und ignorieren könnte von Dritten als Zustimmung interpretiert werden

Wenn Dritte präsent sind, also im öffentlichen Kontext, sollte gegenüber der Person, die hartnäckig eine Verschwörungserzählung verbreitet, allerdings „klar Position bezogen“ werden, die angeführten Quellen und den Inhalt der Erzählung solle man bezweifeln, heißt es in dem Leitfaden. Denn Schweigen und Ignorieren könne in diesen Situationen sonst als stillschweigende Zustimmung interpretiert werden – ein fatales Signal an die Mithörenden oder Mitlesenden. Widerspruch könne die Dritten dagegen ermutigen, auch ihre Zweifel zu äußern. Auch bei ausgrenzendem Verhalten gegenüber Gruppen müsse Stellung bezogen werden, und festgesetzte Spielregeln müssten konsequent eingehalten werden.

Inhaltliche Debatten meiden, klare Grenzen ziehen

Um Verschwörungserzählungen zu widersprechen, „ist es nicht erforderlich und auch nicht ratsam, in eine ausführliche inhaltliche Diskussion zu gehen“, raten die Experten. Denn verschwörungsideologisch „geschulte“ Menschen nutzten häufig eine ganze Flut von Informationen, um in der Diskussion die Oberhand zu behalten. So wird empfohlen, ganz bewusst die inhaltliche Debatte zu meiden und stattdessen eine klare Grenze zu ziehen. „Ich glaube das nicht“, „Ich halte das für eine unseriöse Quelle“ reichten dann aus, um klarzustellen, dass keine Debatte gewünscht ist. Eine weitere Möglichkeit bestehe darin, mit Nachfragen zu arbeiten. „Gerade wenn man sich selbst unsicher fühlt, ist es ratsam, in ein 4-Augen-Gespräch zu gehen.“ Unlogische Stellen und ungeklärte Zusammenhänge könnten dann aufgedeckt und als Widersprüche markiert werden, es seien auch leichter Fragen möglich, die sich um das Befinden der Person mit Verschwörungsglauben drehen. „Ein Ansatzpunkt kann zum Beispiel sein, ob die Beschäftigung mit diesen, meist bedrohlich-beängstigend aufgemachten Themen der Person guttue.“


Soweit die Theorie in Sachen Gesprächsführung – im Internet kursieren mittlerweile viele Tipps, wie durch geschicktes Formulieren und offene Fragen dem Gegenüber der Wind aus den Segeln genommen werden kann – „allerdings gesichtswahrend und auf Augenhöhe“. Die Autoren des Leitfadens bleiben aber vorsichtig und verweisen sogar auf den Eigenschutz beim Umgang mit dieser Klientel. Hinzu kommt, dass für Verschwörungsgläubige das Leben in der Blase auch Sicherheit vermittelt, an psychologische Grundbedürfnisse anknüpft.

Verschwörungserzählungen können auch für Glücksgefühle sorgen

Denn Verschwörungserzählungen versprechen Orientierung in einer komplexen und bisweilen als krisenhaft empfundenen sozialen Realität, die Abwertung „der Schuldigen“ oder „der Unwissenden“ kann mit der eigenen Aufwertung als eines „Durchblickenden“ einhergehen und somit identitätsstiftend wirken. Und, wie schon angesprochen, die Verschwörungserzählungen können auch für Glücksgefühle sorgen.


Über diese Zusammenhänge berichtete zuletzt die Hirnforscherin Katharina Schmack vom Francis Crick Institute London in einem Interview mit der ZEIT. „Verschwörungsgläubige teilen bestimmte Charakteristika mit Menschen, die einen klinischen Wahn haben“, berichtete sie. Charakteristika seien, an unbegründete Überzeugungen zu glauben, hartnäckig daran festzuhalten und die fehlende Einsicht. Eine Studie an der Vrije Universität Amsterdam habe ergeben, dass Verschwörungsgläubige verstärkt Muster erkennen, wo es keine gibt – Probanden wurden neben geometrischen Bildern eines Malers auch Gemälde von Jackson Pollock gezeigt. Ergebnis: Probanden, die Muster in Pollocks unstrukturierten Bildern erkannten, glaubten mit signifikant höherer Wahrscheinlichkeit an Verschwörungserzählungen.
Der Moment, in dem das Muster im Kopf entstehe, so Schmack, in dem man denke, man habe endlich etwas verstanden, am besten etwas, was sonst keiner versteht – das sei ein Moment des Glücks. Oder aus neurowissenschaftlicher Sicht: ein Moment für das Hormon Dopamin, das im Belohnungszentrum des Gehirns ausgeschüttet wird, und zwar immer dann, wenn wir etwas Angenehmes erleben: beim Sex, wenn wir Drogen oder Zucker konsumieren, oder in sogenannten Aha-Momenten.

Dopamin-Ausschüttung fördert Sucht-Effekte

Forschende der Medizinischen Universität Wien, der Queen-Mary-Universität und der Goldsmiths-Universität London hätten schon 2018 in einem Experiment nachgewiesen, dass in Momenten, in denen wir nach Lösungen suchen, Dopamin ausgeschüttet werde. Es liege nahe, dass besonders viele Aha-Effekte ausgelöst werden, wenn Menschen an Verschwörungserzählungen glauben – „weil diese so aufgebaut sind, dass sie Zusammenhänge offenlegen und das Staunen darüber provozieren“. „In gewisser Weise wirken Verschwörungserzählungen dann wie Drogen“, so Schmack. Eine Dopamin-Ausschüttung führe dazu, dass man immer mehr Dopamin ausschütten will – wie bei einer Sucht. Schmack vermutet, dass das ein Grund dafür sein könnte, warum Menschen so schwer von Verschwörungserzählungen loskommen. Dies sei zwar noch nicht erforscht, aber sehr plausibel.


Es könne aber auch wie bei einem Experiment sein, das zeigte, dass Probanden die Wahrnehmung ihrer Erwartung anpassten. Dieser Effekt sei bei Leuten stärker gewesen, die mehr unbegründete Überzeugungen haben. Das Gehirn eines Verschwörungsgläubigen könnte also Erwartungen mehr gewichten und Dinge nur so sehen, wie er es erwartet. Er nehme Informationen also nur in der Form wahr, wie sie mit den eigenen Erwartungen konform ist, jedes Ereignis in der Welt werde so gedeutet, dass es in die eigene Argumentation passt. „Die Erwartungshaltung führt dazu, dass die Menschen aus ihrem eigenen Verschwö-
rungskonstrukt gar nicht mehr herauskommen.“

Impfstatuts und Verschwörungsglaube hängen zusammen

Wie dem auch sei: Es gibt eine Klientel, die alle kursierenden Verschwörungserzählungen aufsaugen und für bare Münze nehmen. Im Research Paper „Von der Krise zum Krieg: Verschwörungserzählungen über den Angriffskrieg gegen die Ukraine in der Gesellschaft“ zeigte das CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) auf, inwieweit sich russische Desinformation und Verschwörungserzählungen rund um den Angriffskrieg in der breiten Bevölkerung verfangen. Hierfür wurden mittels einer repräsentativen Stichprobe der deutschen Bevölkerung Daten erhoben. Ergebnis: Es gibt einen sehr hohen Zusammenhang zwischen einer Ablehnung von Corona-Maßnahmen und einer Haltung zugunsten der russischen Regierung. Und: Der Impfstatus und der Verschwörungsglaube hängen zusammen. Mit 56,2 Prozent stimmen über die Hälfte der Ungeimpften Verschwörungserzählungen im Kontext des Ukraine-Krieges zu. Michael Freitag

(Erstveröffentlichung in der EPPENDORFER-Printausgabe 4/22)

s.a. https://www.der-paritaetische.de/
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