Neben der Corona-Pandemie schlägt dem Psychiater Marc Ziegenbein zufolge auch die politische Weltlage den Menschen auf das Gemüt. Die Gleichzeitigkeit dramatischer Ereignisse wie die US-Präsidentschaftswahlen, Terrorgefahr und eine steigende Zahl an Corona-Neuinfektionen werde zunehmend zu einer Überforderung, sagte der Chefarzt des Klinikums Wahrendorff in Ilten bei Hannover dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Das sehen wir an den steigenden Anfragen, die uns im ambulanten Bereich aber auch in den Tageskliniken erreichen.” Wie man am besten mit Sorgen, Ängsten und dem Pandemie-Stress umgehen kann, dafür gibt Prof. Dr. Ziegenbein am 24. November von 18 bis 20.15 Uhr im Rahmen eines kostenfreien Online-Vortrags Tipps. Der Vortrag bildet den Auftakt einer neuen Kooperation zwischen der Ada-und-Theodor-Lessing-Volkshochschule Hannover (VHS) und dem Klinikum Wahrendorff, wo Ziegenbein als Chefarzt und Ärztlicher Direktor fungiert.
Anfänglich könnten Menschen mit krisenhaften Situationen in der Regel recht gut umgehen. Dauere die Krise aber ohne klare Perspektive auf eine Verbesserung an, bedeute das für viele Menschen eine Herausforderung, die sie nicht immer alleine bewältigen können. „Wenn ich wüsste, wann die Pandemie vorbei ist oder sich die Weltlage wieder entspannt, wäre es einfacher. Aber genau das vermag ja niemand zu sagen”, erläuterte Ziegenbein.
Da Körper und Seele eine Einheit bildeten, können Gefühle wie Hilflosigkeit oder Überforderung auch zu körperlichen Beschwerden führen, etwa Niedergeschlagenheit, Kopfschmerzen, Verspannungen, Antriebslosigkeit und Schlafstörungen, betonte der Psychiater. „Das wird am Anfang meist nur als diffuses Gefühl wahrgenommen, ist aber für die Betroffenen durchaus anstrengend.”
Eine typische Reaktion auf den Stress und die Überforderung sei der Rückzug ins Private. „Die Menschen schaffen sich ihr sicheres Refugium”, sagte Ziegenbein. „Das kann helfen, aufzutanken und Kraft zu schöpfen.” Menschen, die sich von der aktuellen Krise überfordert fühlen, empfiehlt der Psychiater, aktiv Abstand zu Belastendem zu suchen und sich auf Positives zu fokussieren. Das könne etwa bedeuten, auch einmal bewusst auf den Konsum von Medien und Nachrichten zu verzichten, das Gespräch mit Freunden zu suchen oder in der Natur spazieren zu gehen.
„Die Folgen der Pandemie und der Shutdowns werden die Menschen in aller Unsicherheit und zum Teil mit hoher Existenzangst noch lange begleiten“, ist sich Prof. Dr. Ziegenbein sicher. Bisherige Erfahrungen zeigten Muster auf: Solange Menschen in einer Krise mit deren Bewältigung und dem Aushalten beschäftigt sind, funktionieren sie. Wenn wieder eine gewisse Normalität herrscht, dann kommt der Zusammenbruch. Studien belegen diese Erfahrungen. Prof. Dr. Ziegenbein erwartet, dass in den nächsten drei bis sechs Monaten mit einer verstärkten Zunahme von Depressionen zu rechnen ist, oft auch vergesellschaftet mit Ängsten. Die sind häufig Teil der Depressionen. Auch Alkohol wird in Krisensituationen und wegfallenden Strukturen häufig schleichend mehr getrunken. (epd/rd)
Anmeldungen sind per mail (Kompetentsein.vhs@hannover-stadt.de ) oder telefonisch (0511 168 43918) möglich. Weitere Infos unter www.vhs-hannover.de bzw. www.wahrendorff.de .