Vom Psychiater zum Krimiautor

Dr. Thorsten Sueße ist kein Spätberufener. Schon als Kind entwickelte der Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes in Hannover Bildergeschichten, schrieb als Schüler die 32 Seiten starken Schulhefte mit Western- und Krimigeschichten voll. Und bei Aufsätzen wollten die Lehrer nicht immer glauben, dass alles von ihm selbst stammt. Als es beispielsweise um einen Tieraufsatz ging und seine Klassenkameraden sich mit Eichhörnchen und ähnlichem befassten, fantasierte sich der heute 58-Jährige eine Tigerjagd in Indien zurecht.

„Ich wollte eigentlich Schriftsteller werden“, verrät der Mediziner aus Hannover im Gespräch. Er habe aber schon in der Schulzeit gewusst, dass er davon wohl nicht werde leben können. So entschied er sich nach einer Berufsberatung für ein Medizinstudium mit Schwerpunkt Psychologie – geht es schließlich doch dort um Menschen, ihre Geschichten und Schicksale. Auch als Student schrieb Thorsten Sueße weiter Shortstorys („Ich bediente alle Genres“). In den 1980er Jahren kam es dann zu ersten vereinzelten Veröffentlichungen, ein Theaterstück wurde sogar einmal im süddeutschen Raum aufgeführt, und der Hannoveraner wurde Gründungsmitglied des Bundesverbandes junger Autoren und Autorinnen.

 Doktorarbeit über die NS-Zeit in Niedersachsen

Seine Doktorarbeit behandelte die NS-Zeit in den niedersächsischen Kliniken und wie Ärzte mit der Deportation ihrer Patienten umgegangen sind. 1986 gab es den Dissertationspreis der Freunde der Medizinischen Hochschule Hannover, es fand sich zudem auch ein Verlag für die allgemein verständlich geschriebene Abhandlung „Abtransport der ,Lebensunwerten’“. Es folgten weitere Veröffentlichungen zur Psychiatrie im Dritten Reich. Zwischendurch ließ den Familienvater aber nie der Gedanke an einen Roman los.

Dann spielte ihm der Zufall in die Hände. Der Arzt aus Hannover lebt seine kreative Ader auch als Mitglied einer anspruchsvollen Laienspielgruppe in der Nachbarstadt Hemmingen aus, die Molière und andere Klassiker auf die Bühne bringt. Ein Mitspieler schrieb für einen Hamelner Verlag, der auf den Trend regionaler Krimis setzte. „Ich war zuerst skeptisch“, sagt Sueße, der 2011 aber dann bei CW Niemeyer ein Exposé einreichte. Mündlich wurden schließlich 80 bis 90 Probeseiten vereinbart.

 Bemühen um Authentizität ist eine Gratwanderung

„Dem Verlag schwebte etwas anderes als das klassische Kommissarenpaar vor“, erinnert sich der Autor. Da lag es nahe, das eigene Umfeld zu nutzen. Und so entstand die Idee, neben einem Kommissar den in Forensik erfahrenen Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes einzuführen. Das Bemühen um Authentizität ist eine Gratwanderung. „Ich musste aufpassen, den Dienst nicht zu beschädigen und Rücksicht auf lebende Personen nehmen“, verweist der 58-Jährige beispielsweise auf seine Sekretärin. Für Sueße liegt der Reiz seiner Krimis für den Leser auch darin, dass das sozialpsychiatrische Hilfesystem und die Krankheiten seiner Romanfiguren „sehr real“ sind. Die Lesungen in den kaum anonymisierten Kliniken stoßen daher auf viel Zuspruch. Er berichtet sogar von einem Patienten, der erst durch den Erstlingsroman überhaupt vom Sozialpsychiatrischen Dienst erfahren hat.

Fotos der Schauplätze auf dem Schreibtisch

Ebenso real wie die Schilderungen der psychiatrischen Arbeit sind die örtlichen Begebenheiten der Romane. Der Autor sucht die Schauplätze gemeinsam mit seiner Frau auf und macht Fotos, damit am Schreibtisch nachher auch alles richtig wiedergegeben wird. „Gerade regionale Leser goutieren schriftstellerische Freiheiten nicht. Die Umgebung muss stimmen“, verweist Sueße auf eine besondere Prämisse für Regionalkrimis. Selbst vor der eigenen Büroeinrichtung sind seine Romane nicht sicher. Nötige Faktenrecherche außerhalb des eigenen Berufsfeldes betreibt der schreibende Arzt bei Menschen, die er durch seine sozialpsychiatrische Arbeit kennt. Rund fünf Monate schreibt Sueße an einem Roman.

War „Toter Lehrer, guter Lehrer“ noch ein reiner Hannover-Krimi (er spielt an dem Gymnasium, an dem Thorsten Sueße sein Abitur gemacht hat), so sind die beiden Nachfolger für ein bundesweites Publikum geschrieben, indem sie den lokalen Radius etwas weiter fassen. Sind aller guten Dinge auch im Fall des Protagonisten Dr. Mark Seifert drei? Thorsten Sueße ist sich noch nicht ganz sicher und hält sich einige Optionen offen. Schreiben wird er aber auf jeden Fall weiter.

Sorge über Ärztemangel im öffentlichen Gesundheitssystem

Und wer weiß, vielleicht greift er in seinem nächsten Buch ja die Sorge auf, dass dem öffentlichen Gesundheitssystem „die Ärzte wegbrechen“. Gerade für Menschen, die vom SGB V kaum erreicht werden, zum Beispiel Obdachlose, Migranten oder Demenzkranke, wäre das eine Katastrophe, meint er. Da psychisch kranke Menschen selten von sich aus Hilfe suchen, müssten auch Hausbesuche attraktiver gemacht werden. Nachdem die Behandlungsermächtigung in Hannover gerichtlich gekippt worden ist, sei die Politik gefragt, dass der Sozialpsychiatrische Dienst wieder selbst ärztliche Leistungen gemäß SGB V erbringen kann. „Gemeindepsychiatrische Zentren wären da hilfreich, kommen aber seit Jahren nicht voran“, bedauert der Mediziner. Er sieht durchaus weiteres Potenzial des Sozialpsychiatrischen Dienstes, der in allen Bundesländern insgesamt personell besser ausgestattet werden sollte. Dabei hält Sueße unter anderem die Kooperation des Sozialpsychiatrischen Dienstes mit den Jugendämtern zur gemeinsamen frühen Unterstützung von Kindern psychisch kranker Eltern für wichtig, weil diese Kinder in hohem Maße gefährdet sind, selbst psychisch zu erkranken.             Jens Riedel