Sorgen um Obdachlose

Straßensozialarbeiter Julien Thiele guckt nach, ob sich zwischen den Decken ein Mensch befindet - doch das Schlaflager ist leer. Foto: Hinrichs

Nach den ersten Kältetoten wächst die Sorge um Menschen ohne Dach über dem Kopf. In Hamburg gibt es jetzt einen Kältebus, in Hannover öffnete sogar eine Kirche ihre Türen, und allerorten wird mehr auf Obdachlose geachtet: Der Winter und Minustemperaturen sind für Menschen ohne Obdach lebensgefährlich. Mehr in den Fokus rücken psychisch kranke Obdachlose. 

Die Zahl der Obdachlosen in Hamburg hat sich seit 2009 fast verdoppelt. Das geht aus einer aktuellen, von der Sozialbehörde initiierten Befragung hervor. Doch sind auch in der Kälte nicht alle von der Straße zu bekommen. Hilfen wie die Schlafplätze des Winternotprogramms (804 Schlafplätze in Gemeinschaftsunterkünften) werden teils nicht angenommen. Ein Grund ist die Unterbringung in Mehrbettzimmern, die insbesondere  Wohnungslose mit psychischen Erkrankungen häufig meiden. Für sie würden Einzelzimmer benötigt, so der Hamburger Straßensozialarbeiter Julien Thiele, den der EPPENDORFER bei einem Gang durch die Hamburger Innenstadt begleitete (ausführlicher Bericht in der nächsten EPPENDORFER-Printausgabe, die Anfang März erscheint). Außerdem werden Psychiater gesucht, die nebenberuflich psychisch kranke Obdachlose versorgen: Im Rahmen einer Sprechstunde in einer Praxis, aber auch auf der Straße. 

Bei der aktuellen Befragung wurden 1.910 obdachlose Menschen angetroffen. Zum Vergleich:  Bei der letzten vergleichbaren Untersuchung im Jahr 2009 wurden 1.029 Obdachlose gezählt. Im Vergleich zu den Zahlen von 2009 hat sich das Verhältnis deutscher zu nicht-deutschen obdachlosen Menschen in Hamburg gedreht (2009: 70 Prozent deutsche Staatsangehörigkeit, 2018 nur noch 36 Prozent). Viele osteuropäische Menschen haben hierzulandekeine Ansprüche auf medizinische Behandlung außerhalb von Notversorgung  – oder benötigen intensivere Beratungen zur Abklärung ihrer Ansprüche. Ein besonderes Problem sind ferner verarmte Osteuropäer, die aufgrund der Rechtslage eigentlich ausreisen müssten, aber so verelendet bzw. krank sind, dass sie nicht abschiebe- und auch nicht haftfähig sind. Osteuropäische Obdachlose, die über eine Bleibe im Herkunftsland verfügen, werden in Schlafunterkünften abgewiesen und an die so genannte Wärmestube in der Hinrichsenstraße verwiesen.

Als zusätzliche mobile Hilfe fährt seit dem 5. Januar ein spendenfinanzierter Kältebus der Einrichtung Alimaus auf Hamburgs Straßen und kümmert sich bis Mitternacht um Obdachlose, auf die besorgte Bürger hinweisen (Tel. 0151-65683368, die Sozialbehörde verweist ferner auf die Nummer  040/428285000, über die Sozialarbeiter erreicht werden). Sie werden zu den Unterkünften gefahren. Falls dies nicht gewünscht ist, werden andere Hilfen wie z.B. ein Schlafsack organisiert.  Außerdem gibt es einen Mitternachtsbus, der jede Nacht von 20 bis 24 Uhr eine feste Route abfährt und warme Getränke, Essen und Kleidung verteilt. 

In Hannover konnten in der vorigen Woche von Donnerstagabend bis zum Sonntag Wohnungslose in der evangelischen Marktkirche eine Unterkunft finden. Hier standen Matten, Decken und Toiletten für Obdachlose zur Verfügung. Sie konnten sich dort auch einen heißen Tee oder Kaffee kochen. Helfer standen als Ansprechpartner bereit. In der Landeshauptstadt gibt es nach Schätzungen rund 4.500 Wohnungslose. Rund 400 bis 600 leben auf der Straße. Auch die zentrale U-Bahn-Station Kröpcke ist nachts für Obdachlose geöffnet. Über die Stadt verteilt gibt es vier Notunterkünfte mit 205 Notschlafplätzen. Der Malteser Hilfsdienst, die Caritas und die Johanniter fahren mit „Kältebussen“ regelmäßig zentrale Plätze an, um Obdachlosen eine warme Suppe oder medizinische Hilfe zu bringen.

In Bremen rief Landesdiakoniepastor Manfred Meyer dazu auf, jetzt ganz besonders auf obdachlose Menschen zu achten. “Augen auf, ansprechen – wir müssen stärker hinschauen, wie es ihnen geht”, sagte er dem epd. “Einfach fragen: Kann ich Ihnen helfen?” Obdachlose seien durch das jahrelange Leben auf der Straße gesundheitlich häufig in einer schlechten Verfassung. “Bei diesen Temperaturen werden sie oft noch kränker.” 

Wenn dann noch Alkohol im Spiel sei, steige die Gefahr, bei Minusgraden zu erfrieren, sagte Meyer. Deshalb seien jetzt in Bremen verstärkt Johanniter und die Innere Mission unterwegs, um an Treffpunkten und Schlafplätzen Obdachloser nach dem Rechten zu sehen. In der Stadt gibt es Schätzungen zufolge zwischen 500 und 600 Menschen, die auf der Straße leben. An mehreren innenstadtnahen Anlaufstellen und Treffs können sie sich aufwärmen. Überdies können sie in Bussen und Straßenbahnen kostenlos mitfahren.

In Osnabrück suchen die Sozialen Dienste der Caritas zurzeit vermehrt die Stellen auf, an denen Wohnungslose sich aufhalten. Sie versorgen sie mit Decken und Schlafsäcken und vermitteln sie in Notunterkünfte. Etwa 40 Menschen übernachteten auch bei großer Kälte noch draußen, sagte der Leiter der Beratungsstelle für Wohnungslose, Heinz Hermann Flint. Zwar wüssten die meisten, dass es bei bis zu minus zehn Grad Celsius draußen wirklich gefährlich ist. Sie lehnten es aber aus verschiedenen Gründen ab, in städtische oder kirchliche Notunterkünfte zu gehen. 

In der Oldenburger Bahnhofsmission werden derzeit täglich rund 130 wohnungslose Menschen mit heißem Tee und einer Scheibe Butterbrot versorgt. Etliche von ihnen lebten trotz der eisigen Temperaturen weiter auf der Straße, sagte die Leiterin Doris Vogel-Grunwald dem epd. Für sie habe die Bahnhofsmission einen kleinen Vorrat an Schlafsäcken, die bei den derzeit herrschenden Witterungsbedingungen jedoch höchsten vier bis sechs Wochen hielten. Auffällig sei, dass immer mehr wohnungslose Frauen in die Bahnhofsmission kämen. (epd/hin)