Von Menschlichkeit
und Führung

Freuten sich über eine gelungene Tagung: Paul Gerhard Grapentin, der das ISI 2002 gegründet hat, und die Lehrbeauftragte Karin Heming. Foto: ISI

Kaum ein Stuhl blieb leer, als sich am 25. Mai 115 Supervisoren und Coaches, aber auch Pädagogen, Therapeuten, psychosoziale Berater und Personalentwickler im Hamburger Institut für soziale Interaktion (ISI) trafen, um über den zunehmenden Verlust von Menschlichkeit, die wachsenden Anforderungen an Führung sowie die daraus resultierenden Ansprüche an Berater und Supervisorinnen zu diskutieren.

Thema und Person des Hauptredners waren klug gewählt: Dr. Rudolf Heltzel – von Haus aus Psychiater, Psychoanalytiker und Supervisor und seit langen Jahren in psychiatrischen Kliniken und sozialpsychiatrischen Einrichtungen als Berater, Coach und Supervisor unterwegs – hielt den Hauptvortrag zum Thema „Ökonomisierung, Menschlichkeit, Führung und die Parteilichkeit des Beraters“.

Chronischer Mangel an Anerkennung und Wertschätzung

Den meisten Zuhörenden sprach er aus der Seele, als er die Situation, in der sich die Mitarbeiter/innen sozialer Einrichtungen und psychiatrischer Kliniken befinden und erleben, mit größter Deutlichkeit und Prägnanz beschrieb: die tägliche Arbeit werde zunehmend verdichtet, der persönliche Einsatz reiche nie aus, die Schwere der Fälle nehme zu, ebenso wie die Bürokratisierung und der Dokumentationsdruck, die Mitarbeiter fühlten sich zermürbt und erschöpft, sie litten unter einem chronischen Mangel an Anerkennung und Wertschätzung, permanente Veränderungsprozesse, die angeschoben und wieder abgebrochen würden, führten zu einem Verlust von Struktur und Sicherheit. Viele professionelle Helfer hätten das Bewusstsein, das Wohl ihrer Schutzbefohlenen zu gefährden.

Mit dieser Situation – so Heltzel – seien auch Supervisoren in ihrer alltäglichen Praxis konfrontiert. Diese sollen die oft heftigen Affekte von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Resignation nicht nur containen, sondern sie sollen auch Strategien und Lösungswege eröffnen mit dem Ziel, dass die Supervisanden das oft verloren gegangene Gefühl für den Sinn und auch die Freude an ihrer Arbeit zurückgewinnen. An dieser Stelle fordert Heltzel ein weit gefasstes Verständnis von containment, welches auch Räume von Widerständigkeit beinhalten kann. Supervisor/innen sind zumeist emotional mit ihren Supervisanden verbunden, weil sie sich – und dies ist gut so – mit deren primärer Aufgabe identifizieren. Sich auf den Wert und Sinn eben dieser Aufgabe zurückzubesinnen und dazu beizutragen, dass es – allen Spaltungen und Fragmentierungen zum Trotz – Mitarbeiter/innen gelingt, sich sowohl untereinander als auch durch Hierarchien hindurch zu verbinden, könnte und sollte Aufgabe guter Supervision sein.

Im anschließenden Resonanzplenum , das von Dr. Christoph Hutter (einem Theologen und Grandseigneur des Psychodramas) geleitet – besser wäre zu sagen: choreographiert – wurde, brachten die Zuhörer/innen ihre Eindrücke – entlang der zentralen Begriffe des Vortrages – szenisch „auf die Bühne“ und es war erhellend und inspirierend zu sehen, dass nicht nur Sprechen und Hören Einsicht und Erkenntnis vermittelt, sondern auch das darstellende psychodramatische Tun.

Der zweite Kongresstag war angefüllt mit intensiver Workshoparbeit und die Teilnehmer hatten die Qual der Wahl in einem breit gestreuten Spektrum von Themen: Vom „Umgang mit Gefühlen in Beratungsprozessen“ (Christa Meyer-Gerlach) über die Thematisierung der Genderfrage (Dr. Andreas Krebs und Ute Prahl ) bis hin zur „Fürsorgepflicht für Vorgesetzte“ (Klaus Obermeyer) und zur „Supervision als praktizierter Ethik“ (Jan Bleckwedel) u.v.m.

Erwähnt sei noch der provokant betitelte Workshop von Christoph Hutter (Machtvolle Führung – was spricht eigentlich dagegen?) , der die Teilnehmer auf beeindruckende Weise und theoretisch sehr fundiert eine „Landkarte der Macht“ erstellen ließ. Auch hier wurden die sehr unterschiedlichen erarbeiteten „Machtpositionen“ spielerisch in Szene gesetzt.

Im gemeinsamen „Schlussakkord“ dankten die Kongressteilnehmer/innen mit heftigem Applaus dem Leiter des Instituts Paul Gerhard Grapentin, den zahlreichen Referent/innen sowie der sehr engagierten Vorbereitungscrew, die mit großem Engagement zum Gelingen dieser Tagung beigetragen hat. Am deutlichsten wurde dieser Erfolg im Schlussstatement des Hauptakteurs Rudolf Heltzel, der die „Freundlichkeit, Herzlichkeit und das Interesse“, das auf dieser Tagung durchgängig spürbar war, lobte und dann zum Schluss meinte: „Ich habe hier gut aufgetankt.“

So kann sich Arbeit auch anfühlen.                                                  Martina de Ridder

 

Worauf kommt es beim Führen sozialer Einrichtungen an, wie steht es um die Frauenfrage – und wo liegen die Herausforderungen der Zukunft? Darüber sprach der EPPENDORFER 2016 mit der Managementtrainerin und Supervisorin Gabriele Tergeist.    Das Interview lesen Sie hier:  http://eppendorfer.de/wp-admin/post.php?post=1888&action=edit