Sexuelle Gewalt:
Wenn keiner hilft

Kinder, die sexuelle Gewalt von eigenen Familienangehörigen erfahren, müssen oft lange leiden, ohne, dass ihnen jemand hilft. Symbolfoto: pixabay

Kinder und Jugendliche, die sexuelle Gewalt innerhalb der eigenen Familie erfahren, müssen oft lange leiden, bevor sie Unterstützung und Hilfe von außen bekommen. „Menschen im Umfeld von Familien scheuen sich allzu oft davor zu intervenieren und denken, es gehe sie nichts an, was hinter der Haustür einer Familie vor sich geht“, so Prof. Dr. Sabine Andresen, Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs und Autorin der Studie „ Sexuelle Gewalt in der Familie – Gesellschaftliche Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche von 1945 bis in die Gegenwart“, die heute in Berlin vorgestellt wurde. Sie  ist das Ergebnis eines fünfjährigen Forschungsprojektes von Wissenschaftlerinnen der Universität Frankfurt am Main.  

Auch bei Fachkräften des Jugendamtes, so berichteten Betroffene der Kommission, sei diese Scheu vorhanden gewesen. Doch nicht zu intervenieren und Signale von Kindern zu übersehen, habe zu oft dazu geführt, dass Hilfe ausgeblieben ist. „Sexueller Kindesmissbrauch ist keine Privatangelegenheit“, betonte Andresen  

In der Hälfte der Fälle waren Väter die Täter

Mit Abstand am häufigsten wurde von Tätern und Täterinnen unter den Eltern berichtet (44 %). Die insgesamt größte Tätergruppe waren Väter mit 36 %. Mütter sind mit rund 8 % als Täterinnen dokumentiert. Zieht man Pflege- und Stiefeltern hinzu, machten Väter fast die Hälfte (48 %) und Mütter 10 % der Tätergruppe aus. 

Außerdem wurden als Täter und Täterinnen Groß- und Stiefonkel, Brüder, Großväter, andere männliche Verwandte, Stiefgroßväter, Stiefbrüder und Tanten genannt. Viele Betroffene erlebten Gewalt durch mehr als einen Täter oder eine Täterin innerhalb oder außerhalb der Familie. Teilweise wussten diese voneinander, sprachen sich ab oder planten und organisierten die sexualisierte Gewalt zusammen.

Nur in wenigen Fällen wurde die Gewalt durch Dritte beendet

Unter den Personen, denen sich Kinder und Jugendliche anvertraut haben, waren vielfach Familienangehörige, insbesondere Mütter. Doch nur in wenigen Fällen wurde die Gewalt durch Dritte beendet, so die Kommission. „Meist endete die Gewalt ohne ersichtlichen Grund.“ Kinder und Jugendliche haben zudem immer wieder versucht, der sexuellen Gewalt zu entkommen.  „Manche Betroffene erzählen von ihren Suizidgedanken, viele sind von zu Hause weggelaufen.”

Als Schlussfolgerungen aus der Studie genannt wurden u.a.: Vertrauenspersonen in der Familie wie zum Beispiel Mütter benötigten ihrerseits gute Unterstützung und Beratung, um ihr Kind schützen zu können. Und Vertrauenspersonen außerhalb der Familie in der Schule oder einem Verein müssten wissen, wie sie helfen können. Eine weitere Fallstudie soll auf Basis von Betroffenenberichten klären, wie Jugendämter agiert haben und ob und wie Hilfe wirkungsvoll war.  

Angela Marquardt, Mitglied des Betroffenenrates beim UBSKM forderte: „Für uns ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diese verbreitete Kultur des Vertuschens und Schweigens auch in Familien zu überwinden und ein Ethos der Einmischung zu entwickeln. Wir Betroffene haben das Recht auf Aufarbeitung und Verantwortungsübernahme.“ (rd)