Psyche geht
durch den Magen

Mit Fisch und viel Gemüse kann man schon mal wenig falsch machen ....Vielleicht hebt es auf Dauer sogar ein bisschen die Stimmung. Symbolfoto: pixabay

Hirn und Darm arbeiten zusammen, und die Zusammensetzung der Bakterien im Körper beeinflusst auch die Psyche. Ob man mit einer kohlenhydratarmen Ernährung Depressionen lindern und daraus eine spezifische Therapie entwickeln kann, wird aktuell an der Universität Lübeck erforscht. 

Darm und Hirn bilden eine Art WG. Kommuniziert wird nicht am Küchentisch, sondern über „Datenautobahnen“. Entlang der Darm-Hirn-Achse werden über Rückenmark und den Vagusnerv, aber auch das Immunsystem, Informationen zwischen oben und unten ausgetauscht, und auch Billionen an Kleinst-Lebewesen – Bakterien, Viren, Pilze, die das Darm-Mikrobiom bilden – mischen mit. Einige Bakterien produzieren Hormone und Botenstoffe wie Glutamat und Serotonin, die auch bei der Entstehung von Depressionen eine Rolle spielen sollen. Auch Entzündungsprozesse können die Psyche beeinflussen. Durch die Nahrung, die wir zu uns nehmen, wird dieses System in Takt gehalten – oder es gerät aus den Fugen (etwa durch Überfütterung mit Snacks und Fastfood), die Kommunikation gerät durcheinander. 

Im Fokus der Forschung: Die Darm-Hirn-Achse

Soweit, so biologisch. Aber wie genau hängen Psyche und Darm zusammen und kann man aus den Zusammenhängen eine Therapie machen? Die Darm-Hirn-Achse wird seit gut zehn Jahren an vielen Orten intensiver erforscht, allerdings zumeist in kleineren Studien. Erwiesen wurde bereits, dass sich das Darm-Mikrobiom von Depressiven anders zusammensetzt als das Gesunder. Bei einer aktuellen Studie aus Rotterdam an 1054 Probanden wurden dreizehn verschiedene Bakterienarten identifiziert, die im Darm von Menschen mit Depressionssymptomen auffallend häufig oder selten vorkommen. Ungeklärt ist noch die Frage, ob Menschen wegen der Zusammensetzung ihrer Bakterien Symptome entwickeln –  oder ob sich die Bakterienzusammensetzung so negativ entwickelt hat, weil sie sich krankheitsbedingt schlecht ernähren und wenig bewegen. 

Mit niedrigkalorischer, kohlehydratreduzierter Ernährung gegen Depressionen

Deutlich mehr Licht ins Dunkle der Mikrobenwelt soll nun eine Studie in Lübeck bringen, bei der erstmals versucht wird, Depressionen – zusätzlich zur regulären Behandlung mit Psychotherapie und/oder Psychopharmaka – mit einer niedrigkalorischen, kohlenhydratreduzierten Ernährung zu lindern, die bereits erfolgreich bei Übergewicht zur Verbesserung des Blutzuckerstoffwechsels und zur Gewichtsreduktion eingesetzt wurde. Nun soll die Auswirkung einer App-basierten Ernährungsumstellung bei Depression untersucht werden. Mittels viel Gemüse und Proteinen und wenig Fast-Food und Zucker soll ein gutes Mikrobiom geschaffen werden. Und ein gutes Mikrobiom ist vor allem vielfältig. 

Auch der Stoffwechsel wird vermessen

Gemessen werden die Auswirkungen auf mehreren Ebenen – durch monatliche Abfrage des psychischen Befindens  sowie durch Vermessung der Stoffwechsel bzw. Körperzusammensetzung durch Gastroenterologen des CBBM (Center of Brain, Behavior and Metabolism, eine interdisziplinäre Einrichtung der Universität zu Lübeck zur Erforschung der gegenseitigen Steuerung von Gehirn, Verhalten und Stoffwechselprozessen). In die Studie eingeschlossen werden insgesamt je 40 PatientInnen aus den kooperierenden Kliniken in Basel und Lübeck – jeweils unterteilt in eine gesunde Gruppe und eine mit depressiven Patienten. Ihre Ernährung wird innerhalb von elf Wochen sukzessive auf 130 Gramm Kohlenhydrate pro Tag reduziert. Ausgeschlossen werden bipolar und komorbid Erkrankte. Kein Ausschlusskriterium sind dagegen Suizidalität oder schwere Symptome.

„Brain-Gut-Studie“ heißt das Projekt (von „Brain and gut“, engl. für Gehirn und Darm). Erste Erfahrungen zeigten, das die meisten sehr gut mit Ernährungsumstellung zurecht kämen, so die Studienärztin Frederike Buschmann. Ein depressiv Erkrankter habe abgebrochen, weil er die Aufgaben – einkaufen, kochen … – nicht allein zuhause bewältigen konnte. Im übrigen zeichne sich eine Tendenz ab, wonach es keine Verschlechterungen, eher Verbesserungen gebe.  

Antidepressiva kein Ausschlusskriterium

Einige Studien-TeilnehmerInnen nehmen Antidepressiva. Weiß man, wie sich das aufs Mikrobiom auswirkt? „Soweit sind wir noch nicht“, so Buschmann, dazu gebe es noch keine Studien. Unterschieden werde nur das Mikrobiom mit und ohne Depression und mit und ohne Übergewicht. „Wir gehen natürlich davon aus, dass Medikamente Wirkungen auch auf die Funktion des Darms haben. Aber die Alternative wäre gewesen, wir schließen nur medikationsfreie Patienten ein. Das wäre methodisch sauberer, würde aber an der klinischen Realität vorbei gehen“, so Buschmann. 

Was den Nutzen der Untersuchung angeht, denkt der Ärztliche Direktor der Universitätspsychiatrie Lübeck, Prof. Stefan Borgwardt, größer. Für Sport gebe es bereits die Nachweise einer mit  Psychotherapie bzw. Psychopharmaka vergleichbaren Wirkung. Ziel sei ein ähnlicher Nachweis auch für die Ernährung. „Wir wollen Ernährungsregeln gerade für leichte Depressionen entwickeln.“ Therapieplätze sind rar, Psychopharmaka seien teils umstritten.

In Zukunft personalisierte Ernährungstherapie?

Da könnten von Krankenkassen finanzierte Ernährungs-Apps zu einem gestuften Behandlungssystem beitragen, bei dem nur noch Schwerkranke im Krankenhaus behandelt werden, hofft Borgwardt. Eine spezialisierte Ernährung biete sich auch für eine langfristige Stabilisierung an, wenn Medikamente ausgeschlichen werden. „Ernährung hat einen sehr bedeutenden Einfluss“, ist Borgwardt überzeugt. Vielleicht werde es in 20 Jahren üblich, in Kliniken nicht nur Psychotherapeuten und Sozialtherapeuten, sondern auch mehrere Ernährungstherapeuten (bisher gibt in der Universitätspsychiatrie Lübeck eine Ernährungstherapeutin) und eine personalisierte Ernährungstherapie vorzuhalten.   

Das Besondere an der Lübecker Studie sei, dass es sich erstmals um eine gezielte Intervention handelt. In der von einer Fremdfirma bespielten APP wird dafür eine große Auswahl an Rezepten angeboten. Rein vegane Ernährung ist wegen der schlechten Vergleichbarkeit ausgeschlossen, nicht aber vegetarische.  Und wie steht es um das Thema Zusatzstoffe? Müsste da nicht auch der Verzehr biologischer Produkte Teil der Umstellung sein? „Wir können nicht alles gleichzeitig machen“, sagt Frederike Buschmann. „Dann müssten wir jedem Patienten das Essen kochen.“ Es mache Sinn, mit einem durchschnittlichen Konsumenten zu arbeiten. „Mit Blick auf Therapieanwendung wäre sonst das  Ziel einer niedrigschwelligen Ernährungsintervention verfehlt. Anke Hinrichs

Von Probiotika bis Stuhlkapsel

Zusammenhänge zwischen Mikrobiom und Psyche wurden auch im Zusammenhang mit Schizophrenie und Autismus festgestellt. Verschiedene Studien haben zudem auch Zusammenhänge zwischen einem Vitamin-D-Mangel und (neuro)psychiatrischen Erkrankungen gezeigt. 

Auch Probiotika wurden mehrfach beforscht. So auch in der Universitätspsychiatrie Basel. Teilnehmende stationär untergebrachte Depressionserkrankte erhielten dort zusätzlich zu den Antidepressiva während 31 Tagen ein Probiotikum (21 Personen) oder ein Placebo (26 Personen). In der Probiotika-Gruppe verbesserte sich der Zustand der Probandinnen und Probanden jedoch „deutlich stärker“ als in der Placebo-Gruppe, so die Studienautoren. Aus dem Vergleich der Daten aus 10 Studien mit insgesamt über tausend Patienten zeigte sich indes offenbar insgesamt ein unbedeutender Effekt von Probiotika auf die Stimmung, der sich nicht von Scheinbehandlungen unterschied – außer bei milden bis mäßigen Depressionen (s. www.deutschesgesundheitsportal.de).

Noch ganz am Anfang ist die Forschung in Sachen Stuhltransplantationen. Dabei werden Kranken Kapseln mit dem Darminhalt von Gesunden verabreicht. Bei Nagern hat das funktioniert, so Prof. Stefan Borgwardt.  Bei Menschen fehlen die Beweise noch. Eine Baseler Studie dazu sei abgebrochen worden, nachdem es in den USA bei einer Studie aus ungeklärten Gründen einen Todesfall gegeben habe.   (hin)