Mehrere Verbände ehemaliger Heimkinder wollen künftig zusammenarbeiten und ihre Forderungen an Politik und Kirchen gemeinsam vertreten. Bisher scheiterte eine Zusammenarbeit an Grundsatzfragen, etwa ob es in Ordnung sei, in kirchlichen und staatlichen Gremien mitzuarbeiten. Streit zwischen einzelnen Personen kam hinzu. Nun wollen neue Akteurinnen und Akteure die Gräben schließen.
„Es sind dicke Bretter zu bohren, aber wir werden das gemeinsam tun“, sagt Doris Petras, Sprecherin des Vereins ehemaliger Heimkinder (VEH), zu dem neuen Schulterschluss der Opfervertretungen. Vier Gruppen haben sich laut einer gemeinsamen Erklärung zusammengetan: Der VEH, der Verein Ehemaliger Heimkinder NRW, die Selbsthilfegruppen Frankfurt/Hannover und die Vertretung der Betroffenen im regionalen
Fachbeirat der Stiftung Anerkennung und Hilfe Schleswig-Holstein. „Wir werden uns von den Tätern nicht mehr vereinzeln lassen, wir sind keine Opfer zweiten und dritten Grades, keine ehemaligen Heimkinder UND Behinderte UND Psychiatrisierte UND ehemalige InternatsschülerInnen – wir alle gemeinsam sind Überlebende deutscher Erziehung – in Heimen, Internaten und Psychiatrien. Wir sind die Opfer eines Staatsversagens auf allen Ebenen in der Nachkriegszeit bis Ende 19702“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung.
Dass diese Einigkeit nicht selbstverständlich ist, zeigten die Statements einiger Betroffenenvertreter bei einem Symposium im Kieler Landtag im vergangenen Herbst. Einen tiefen Graben gab es zwischen dem VEH und den ehemalige Heimkindern, die im Beirat der Stiftung Hilfe und Anerkennung mitarbeiten. Der VEH sieht die Stiftung, die Geld der evangelischen Kirche erhalten hat, kritisch: „Im Beirat sitzen Leute von Kirche und Staat, den Täterorganisationen“, sagte VEH-Mitglied Franz Wagle, einer von denen, die ihre Geschichte öffentlich erzählt haben. „Die Beraterinnen haben selbst bei der Diakonie gearbeitet. Da bestimmen die Täter, wie sie mit den Opfern umgehen, das ist unverschämt.“ Eckard Kowalke, Künstler aus Eckernförde und Vorsitzender des Landesvereins ehemaliger Heimkinder, fand einen harten Vergleich: Wenn damalige Opfer der Diakonie heute wieder von diakonischen Beratungsstellen begleitet würden, würde die Kirchen „doppelt an den Opfern verdienen. Das schafft nicht mal die Mafia.“
Doris Petras bestätigt die skeptische Grundhaltung gegenüber der Stiftung, die eine Beratungsstelle für Opfer von Gewalt in den staatlichen und kirchlichen Heimen bereibt und Geld an einzelne zahlt: „Keine echte Entschädigung!“, betont Petras. Der Verein lehne die Zusammenarbeit mit der Stiftung weiter ab, „weil wir nicht mit Leuten an einem Tisch sitzen wollen, mit denen wir polisch streiten“.
Aber mit den Betroffenen, die dort mitarbeiten, sei der Zusammenschluss sinnvoll, sagt Petras. Sprecherin dieser Gruppe ist Manuela Nicklas-Beck, die beim Symposium im Landtag eine monatliche Rente für ehemalige Opfer forderte, um sie im Alter vor dem Pflegeheim zu bewahren. Diese Idee kam bei der Politik, aber auch bei anderen Betroffenen gut an. Bei einem Treffen in Berlin kam es zu ersten Gesprächen, schließlich zum Zusammenschluss. Persönliche Reibereien gab es zwischen den Beteiligten nicht: „Ich bin noch gar nicht so lange dabei, kenne nicht alle Vorgeschichte – das ist manchmal hilfreich“, sagt Doris Petras.
Gemeinsam fordern die vier Betroffenengruppen nun eine komplette Aufarbeitung der Verhältnisse und Vorfälle, die sich seit den 1950er Jahren in westdeutschen Heimen und Jugendpsychiatrien ereignet haben. Die Opfer erwarten „Respekt für unser erlittenes Leid und die Möglichkeit unser restliches Leben in Würde zu leben“. Reden und Erklärungen hätten sie inzwischen genug gehört, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. An die Adresse von Kirche und Staat heißt es dort: „Bitten Sie uns nicht um Vergebung, wenn Ihr Verhalten Ihre Worte Lügen strafen! Nichts kann auf diese Weise vergeben werden. Vergessen wird es nie.“
Esther Geißlinger