Online-Festakt: 50 Jahre DGSP

Vom 12. bis 14. November 2020 veranstaltete die Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. (DGSP) statt ihrer Jahrestagung ein FachgesprächONLINE und feierte in diesem Rahmen gleichzeitig ihr »kleines« Jubiläum.

Die ursprünglich in Bremen geplante Veranstaltung soll im nächsten Jahr nachgeholt werden. Nun kamen die insgesamt 175 Teilnehmenden zunächst via Online-Tagungs-Tool zu zehn fachthematischen Beiträgen und dem Festakt zusammen. Erfreulicher Nebeneffekt des Corona-bedingten Medienwechsels: Neben zahlreichen langjährigen Mitgliedern, sprach das Format viele jüngere Teilnehmende an und spannte so formal wie inhaltlich den Bogen von 1970 bis heute.

Kontroverse Diskussion

Gleich zu Beginn der Veranstaltung wurde klar: Es geht am 50. Geburtstag des Fachverbands nicht nur um den Blick zurück, sondern auch um die Zukunft. Die DGSP-Vorsitzende Christel Achberger lenkte in ihrer Begrüßung zum FachgesprächONLINE den Blick direkt auf die vielfältigen Aufgaben, die es zu bearbeiten gilt. Veranschaulicht wurden diese in den »Wahlprüfsteinen«, die den Parteien zur kommenden Bundestagswahl 2021 klare Positionen zu den Kernthemen der DGSP abringen sollen: Wohnungsnot, die Situation von Menschen mit Psychiatrieerfahrung und Geflüchteter, besonders unter Pandemiebedingungen, oder auch der geforderte Psychiatriebericht – schon hier wurde sichtbar, dass es virtuell ebenso vielschichtig zugehen kann wie im echten Tagungsraum.

So konnten direkt im ersten fachthematischen Beitrag knapp 100 Teilnehmende eine kontroverse Diskussion rund um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Aufhebung des »Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung« zwischen Dr. Michael Wunder und Dr. Jann Schlimme miterleben. »Das Gespräch war so spannend und argumentativ so auf den Punkt, das hätte man glatt als Podcast ins Netz stellen können«, berichtet Laura Reinhold. Die Ergotherapeutin ist lange Mitglied der DGSP, konnte aber bei vergangenen Veranstaltungen oft aufgrund beruflicher oder familiärer Verpflichtungen nicht teilnehmen: »Digital ist es aber gar kein Problem, auch kurzfristig reinzuschauen.«

Unerwartete Dynamik

Deshalb brachte Reinhold auch gleich ihren ganzen Kurs angehender Ergotherapeuten mit: »Für meine Schüler*innen war das natürlich klasse, fachlich derart herausragende Leute wie z.B. Dr. Michael Pascal Hengartner so nah miterleben zu können.« Ein von Vielen im Vorfeld unterschätzter Aspekt: »Am Computer ist man gefühlt viel näher am »Podium« dran. Deshalb war denke ich auch die eigene Beteiligung niederschwelliger«, erklärt Laura Reinhold. Und tatsächlich gab es gerade aus den Reihen der jüngeren Teilnehmenden reges Interesse an der Möglichkeit, sich auf Wunsch per Bild und Ton dazu schalten zu lassen. Das gab der Tagung eine unerwartete Dynamik.

Besonders spürbar war das ebenfalls bei der Verleihung des DGSP-Forschungspreises, der am Freitagvormittag an die Dipl.-Psychologin Dr. Meyke Wehmeyer vergeben wurde. Sie konnte die Jury mit ihrer Arbeit zu Menschen mit Intelligenzminderung und psychischer Störung überzeugen und stellte ihre Studien ähnlich mitreißend vor wie nach ihr die Trägerin des DGSP-Nachwuchspreises für junge Forschende, Mara Bach MA Sc.. Ihre Arbeit befasst sich mit den subjektiven Erfahrungen und Einstellungen psychoseerfahrener Menschen zu Psychiatrie und Psychotherapie – und damit mit einem der zentralen Engagements der DGSP.

Inklusives Filmprojekt

Einziger Wehrmutstropfen: der persönliche Austausch – hier sind sich alle Generationen einig. »Zwischendurch wollte man einfach mal mit Bekannten über die Themen sprechen«, findet Laura Reinhold, genau wie viele DGSP-Mitglieder erster Stunde, die sich zum 50. Geburtstag lieber herzlich gedrückt hätten. Doch im Rahmen der technischen Möglichkeiten wurde das »kleine« Jubiläum schließlich doch weniger steril als befürchtet. Nachdem sich ein Großteil der Anwesenden mit ihrer Bildschirm-Kachel dazugesellt hatten, schickten die umfangreiche DGSP-Chronik von Christian Reumschüssel-Wienert und ein Zusammenschnitt eines inklusiven Filmprojekts mit Interviews von Zeitzeugen am Ende noch einige emotionale Momente in die Wohnzimmer.

So bleibt am Ende der digitalen Fachtagung für viele Alteingesessene ein akzeptabler Ersatz, für viele Jüngere ein neuer Zugang – und damit eben auch eine Chance für die DGSP, als »Digital Immigrant« formal genauso auf der Höhe zu bleiben wie inhaltlich.

Die Ursprünge der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. (DGSP) liegen in der 68er-Generation. Aus der Kritik an den menschenunwürdigen Zuständen der Psychiatrie und Unzufriedenheit mit den dortigen Arbeitsbedingungen entwickelte sich eine multiprofessionelle Interessengemeinschaft, die sich im Mai 1970 zum ersten Mal überregional im »Mannheimer Kreis« zusammenfand. Im selben Jahr folgte die Gründung der DGSP. Seit 50 Jahren setzt sich der bundesweite Fachverband für die Interessen und den Schutz psychisch erkrankter, behinderter und von psychischer Erkrankung und Behinderung bedrohter Menschen ein. Die DGSP arbeitet berufs- bzw. expertenübergreifend, das heißt, ihre Mitglieder sind psychiatrisch Tätige aller Berufsgruppen aus verschiedenen Institutionen, Psychiatrieerfahrene und deren Angehörige sowie Träger sozialpsychiatrischer Angebote.

(DGSP)