Da geht noch was:
Sexualität im Alter

Führt in Heimen und bei Ärzten oft noch ein Schattendasein: Das Thema Sexualität im Alter. Foto: Esther Ann/Unsplash

Vor der Coronakrise, in der immer wieder die Risiken des Alters und Kontaktvermeidung beschworen werden, befasste sich eine Fachtagung im Norderstedter Rathaus mit der Lebens-Lust, der Sexualität und Partnerschaft im Alter.

Gibt es überhaupt erotische Bedürfnisse von Heimbewohnern? Nein, behauptete ein Heimleiter gegenüber Gabriele Paulsen (Nessita GmbH), die einen Dienst gründete, der erotische Besuche im Heim vermittelte. Eine Aussage, die sie sprachlos machte. Alter und Sexualität seien in der Gesellschaft ein Doppeltabu: „Das Außen verurteilt da, nach dem Motto: das gehört sich nicht mehr“, sagte die zertifizierte Pflegeberaterin in ihrem Vortrag bei der öffentlichen Plenumsveranstaltung.

Die Bedürfnisse nach Liebe und Zärtlichkeit werden von außerhalb reglementiert, sind aber bei den Heimbewohnern da.

Gabriele Paulsen, Nessita GmbH

Was ihr von Männern und Frauen in den Einrichtungen kommuniziert wurde, war, dass sie dort geschlechtslos gemacht würden. Für die professionelle Pflege gebe es keine Unterschiede bei Mann und Frau. „Es gibt viel Frustration. Schon Komplimente sind vielen Pflegekräften nicht geheuer und sie ziehen sich zurück.“

Paulsen sprach auch die Veränderung eines Partners in der Demenz an. „Einerseits ist er hilfebedürftig, dann will er auf einmal von seiner pflegenden Frau Sex.“ Das Konfliktpotential sei groß, Paare hätten es in so einer Situation nicht gut miteinander. Um peinliche Situationen mit dem erkrankten Partner in der Öffentlichkeit zu vermeiden, gebe es oft ein Zurückziehen in die Häuslichkeit. Folge sei ein Unglücklichsein im „Inner Circle“, der Verlust sozialer Kontakte.

Speeddating im Heim

Es gebe aber auch positive Ansätze: Speeddating in Einrichtungen sei „eine witzige Idee“, neue Techniken machten eine Kontaktaufnahme möglich. Die Senioren hätten schon Lust auf Interaktion mit dem anderen Geschlecht, wobei die ungleiche Verteilung in Heimen– teilweise 65 Prozent Frauenanteil – zum Problem werden könne.

Da streiten sich dann die Frauen um die Männer.

Gabriele Paulsen, Nessita GmbH

Paulsen brach hier eine Lanze für die passive Sexualunterstützung, bei der Pflegekräfte Begegnungen von Heimbewohnern ermöglichen. Auf jeden Fall steigere es den Selbstwert von HeimbewohnerInnen, wenn sie in ihrer Weiblichkeit/Männlichkeit gesehen würden, wenn sie in einem Miteinander von Frau/Mann seien. Heime müssten sich im Übrigen auf vieles im Bereich Sexualität einstellen, auch die Thematik Homosexualität käme jetzt hoch. „Es kommen Menschen einer Generation in die Einrichtungen, die ihre Veranlagung aufgrund der damaligen Strafbarkeit ein Leben lang verdrängen musste.“

Wie sich Sexualität verändert

Sexualität im Alter – was verändert sich bei der Frau bzw. beim Mann? Diese Frage beantworteten zwei Medizinprofessoren dem Plenum. Zuerst zur Frau: Prof. Dr. Gerhard Gebauer, Chefarzt der Frauenklinik der Asklepios Klinik Nord, verwies darauf, dass für die Mehrzahl der Frauen jenseits des 50. Lebensjahres Sexualität immer noch wichtig sei. Bei einer Befragung von Patientinnen zwischen 50 und 60 erklärten 52 Prozent, dass ihnen Sex sehr wichtig sei, nur für neun Prozent war Sex gar nicht mehr wichtig.

In der Folge erläuterte Gebauer die Behandlung von sexuellen Störungen, deren Ursachen oft somatisch bedingt sind, z. B. durch Senkungs- oder Harnleiterprobleme. 30 Prozent der Frauen hätten Senkungsbeschwerden, z.B. eine Gebärmuttersenkung aufgrund der Überlastung des Beckenbodens. Ein Drittel der Frauen mit Inkontinenz berichteten von geringerer sexueller Appetenz. In allen Fällen könnten aber erfolgreiche Operationen zu einer Verbesserung der Sexualität führen.

Krankheiten beeinflussen Sexualität

„Es gibt zu wenig Mediziner, die sich im Bereich Sexualmedizin fortgebildet haben“, räumte Gebauer aber ein. Und 7,6 Minuten durchschnittlicher Gesprächsdauer beim Hausarzt oder Gynäkologen seien auch bei dieser Thematik knapp bemessen. Krankheiten hätten starken Einfluss auf die Sexualität, Depressionen mit 69 Prozent etwa einen sehr starken. Klimakterische Symptome beeinträchtigen ebenfalls das Glück, das Wohlbefinden und die Gesundheit. Die Reduktion der Symptome wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche, depressive Verstimmungen und Leistungsabfall könnten zur Steigerung der Libido führen. Eine Hormonbehandlung gelte es aber genau abzuwägen. Bei auftretender Scheidentrockenheit käme aber eine Östrogentherapie in Frage. Eine onkologische Therapie habe natürlich einen sehr großen Einfluss auf die Sexualität.

Zwei Jahre nach einer Bestrahlung haben 80 Prozent der Frauen kein sexuelles Interesse mehr.

Prof. Dr. Gerhard Gebauer, Chefarzt der Frauenklinik der Aklepios Klinik Nord

Aber auch Angst vor einer Rückkehr des Krebses könne zu sexuellen Störungen führen. Eine psychoonkologische Begleitung sei hier zu empfehlen. Gebauer betonte aber zum Schluss noch einmal: „Sexuelle Störungen sind kein typisches Altersthema und keine Rarität. Die Frau sollte die Probleme ansprechen und Beratung suchen. Bei einer Begleitung des Paares sollten realistische Ziele gesetzt werden, denn das Thema braucht Zeit.“

Erektile Dysfunktion

Der Mann kämpft dagegen mit nur zwei Problemen: Ejaculatio Praecox (vorzeitiger Samenerguss) und Erektionsstörung. Erstere (die Prävalenz im Alter zwischen 20 und 65 Jahren liegt bei 20 bis 30 Prozent) hat häufig psychische Ursachen, bedingt z.B. durch Partnerwechsel und Versagensängste. Bei der erektilen Dysfunktion sei das Alter dagegen ein Risikofaktor, wie Prof. Dr. Christian Wülfing, Chefarzt der Urologie der Asklepios Klinik Altona, darlegte. Die Palette an Krankheiten (Herz, Diabetes mellitus, Arteriosklerose, Bluthochdruck etc.) ist lang, die zu Erektionsstörungen führen können. Aber auch hier hatte der Mediziner eine gute Nachricht: Von Schwellkörperimplantaten bis Vakuumtherapie – die Technik kann auch müde Männer wieder einsatzbereit machen. Und dann gibt es ja noch Viagra. Abhängig ist die Libido aber vom Testosteronspiegel, und der sinkt beim alternden Mann ab. Ein normaler Vorgang, mit dem sich Mann abfinden muss.

(frg)