Maßregelvollzug
abschaffen?

Hinter gesonderten Gittern: Schuldunfähige psychisch kranke Straftäter werden im Maßregelvollzug untergebracht - und behandelt. Foto: pixabay

 Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. (DGSP) hat „die Ausgestaltung des forensischen Maßregelvollzugs in seiner heutigen Form als überholt und in seiner gegebenen Funktion als weitgehend wirkungslos“ bezeichnet. Daher fordert der Verband „eine grundlegende Transformation“. Vielfältige Reformversuche seien gescheitert. 

Hintergrund: Die Autoren eines Positionspapiers mit Reformempfehlungen weisen auf eklatante Missstände des forensisch-psychiatrischen Maßregelvollzugs hin. So sei eine direkte, kausale Verknüpfung zwischen „psychischer Krankheit“ und „Gefährlichkeit“ in der Praxis in den seltensten Fällen eindeutig feststellbar. Auf dieser Annahme aber beruhten die Einweisungen in den Maßregelvollzug u.a.. 

Weiterer Knackpunkt:  Da nach den entsprechenden Paragraphen im Strafgesetzbuch (§§ 63 und 64)  eine Unterbringung in der forensischen Psychiatrie grundsätzlich nicht zeitlich begrenzt ist, ebneten zusätzliche Faktoren den Weg dafür, dass es bezüglich der Dauer der Unterbringung zu großen Unterschieden zwischen den Bundesländern und sogar zwischen einzelnen Landgerichtsbezirken komme. „Teilweise verbringen Menschen im Maßregelvollzug unter den gleichen Voraussetzungen in dem einen Bundesland fast doppelt so lange im Freiheitsentzug wie 20 km weiter im Nachbarland“, erläutert die DGSP-Vorstandsvorsitzende Christel Achberger. 

Was fordert der Verband alternativ?  Die DGSP spricht sich für weitgehende Reformen aus, „die de facto das Ende des forensischen Systems in seiner jetzigen Form bedeuten würden“, heißt es in einer Pressemitteilung des Fachverbandes. Die Autoren des  Positionspapiers mit dem Titel „Plädoyer für eine Transformation der Maßregeln“ (Martin Feißt / Ulrich Lewe / Heinz Kammeier) listen sechs Punkte auf.  

Maßgeblich sei, §§ 63, 64 und 20, 21 StGB langfristig zu streichen. Künftig werden danach alle Täter zu einer – befristeten – Strafe verurteilt.  Schuldfähigkeit, Gefährlichkeit und Besserungsbedarf spielen keine Rolle mehr. Bei anhaltend als hochgradig gefährlich eingeschätzten Personen könne Sicherungsverwahrung angeordnet werden. 

Die Gesundheitsversorgung aller Personen im Strafvollzug solle dann  nicht mehr von der Justiz verantwortet, organisiert und finanziert werden, sondern von Ärzten und Gesundheitsdiensten/-Einrichtungen vor Ort – identisch der Versorgung von Menschen in Alten- und Pflegeheimen.  Die bisherigen Einrichtungen des Maßregelvollzugs könnten in Gefängnisse umgewandelt werden.   Bisherige Beschäftigte des Maßregelvollzugs könnten in den Justizvollzugsdienst wechseln, schlagen die Autoren weiter vor – „oder Mitarbeitende in den Gesundheits- und Sozialdiensten am Ort des Vollzugs werden“. 

Sechster und zudem auch letzter Punkt in der Kurzfassung des im Internet unter www.dgsp-ev.de herunterladbaren 92-seitigen Papiers: Künftig sei dann allein „der hoheitlich tätige Staat“ für die Sicherung der Verurteilten und den Schutz der Allgemeinheit zuständig: „Die Psychiatrie wird von hoheitlichen Aufgaben und Schutzpflichten entbunden.” (rd)