Soll man schon sehr junge Menschen mit Pubertätsblockern behandeln und wenn ja, ab welchem Alter? Dies ist eine der strittigsten Fragen, wenn es um die Hilfen für die offenbar wachsende Zahl an jungen Trans Menschen geht, die sich nicht in ihrem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht zu Hause fühlen und deren Behandlung Thema einer neuen Leitlinie ist, deren Entwurf jetzt vorgestellt und diskutiert wurde.
0,3 bis ein Prozent aller Menschen sollen Schätzungen zufolge mit ihrem amtlich ermittelten Geschlecht hadern. Das Fremdwort dafür lautet Geschlechtsinkongruenz (GI), was an sich – anders als zu früheren Zeiten kolportiert – keine psychische Krankheit ist. Nur, wenn daraus ein behandlungsbedürftiges Leid entsteht, spricht man heute von „Geschlechtsdysphorie“, also einer Störung oder Verstimmung des emotionalen Erlebens. Das Krankhaftigkeit meinende Wort „Geschlechtsidentitätsstörung“ wird international nicht mehr verwendet.
Diskussion wird für rechtsextreme Strategien missbraucht
Die Diskussion über den Umgang mit Trans-Menschen und geschlechtsaufhaltenden bzw. -angleichenden Behandlungsmöglichkeiten wird aktuell auch für rechtsextreme politische Strategien missbraucht. Eine neue Leitlinie, deren Entwurf jetzt vorgestellt wurde, soll dazu beitragen, die teils aufgeheizte öffentliche Diskussion zu befrieden. Vor allem aber soll sie Hilfestellung für trans Menschen und ihre Begleiter bzw. Behandler sein und so dazu beitragen, Kindern und Jugendlichen bestmöglich zu helfen. Das alles unter Abwägung des Rechts auf Selbstbestimmung einerseits und dem Schutz vor vorschnellen Entscheidungen und Eingriffen andererseits. Betont wird dabei, dass das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper nicht erst mit 18 Jahren beginne und je nach Reifegrad auch auch für Kinder und Jugendliche gelte.
Umstrittene Pubertätsblocker sollen vor allem Zeit geben
Für die Leitlinie haben 27 Fachgesellschaften gemeinsam mit zwei Vertretungsorganen und in einem umfangreichen Verfahren unter Einbezug aller Literatur sieben Jahre lang beraten. Und kritisch diskutiert. Ein Mitglied verließ zwischenzeitlich sogar das Gremium. Ihm war speziell die Evidenz für die umstrittenen Pubertätsblocker zu schwach. Letztere sollen dem Entwurf nach in den deutschsprachigen Ländern weiter möglich sein – um Zeit zu geben. Aufgrund von Fällen, bei denen Personen offenbar zu früh und schnell mit Pubertätsblockern behandelt wurden und eine Hormonbehandlung später bereut haben, agieren einige Länder inzwischen vorsichtig bzw. verwenden Pubertätsblocker nur noch im Rahmen klinischer Studien wie derzeit in Großbritannien.
In 15 Jahren 800 Jugendliche behandelt und 5 Detransitionen erlebt
Es gebe durchaus Fälle, in denen junge Menschen nach angleichenden Maßnahmen doch wieder ins ursprüngliche körperliche Geschlecht zurückwechseln, so die Experten. Dies sei bei sorgfältiger Diagnose aber selten. Mitautor Dr. Achim Wüsthof, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin sowie für Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie am Endokrinologikum Hamburg sagte, er habe in den vergangenen 15 Jahren 800 Jugendliche behandelt und dabei fünf Detransitionen erlebt.
Konversionsmaßnahmen „aus guten Gründen” verboten
Was geschlechtsangleichende Maßnahmen angeht, wurde in der Leitlinie festgehalten, dass für eine solche Indikation umfassende diagnostische Einschätzung unbedingte Voraussetzung sei. Es dürfe „selbstverständlich nicht darum gehen, die geschlechtliche Identität verändern zu wollen. Dann wären wir im Bereich von Konversionsmaßnahmen. Die sind aus guten Gründen in Deutschland verboten“, machte Mitautorin Sabine Maur, Psychologische Psychotherapeutin mit Zusatzqualifikation Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie sowie Vize-Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) bei der Vorstellung des Entwurfs in einem Presse-Briefing des Science Media Center.
Die Aufgabe: Individuelle, akzeptierende und verlaufsoffene Begleitung
Die Experten betonen die Aufgabe, jeden Fall individuell, dabei grundsätzlich akzeptierend und gleichzeitig verlaufsoffen zu begleiten. Prof. Dr. Claudia Wiesemann, Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Göttingen, betonte im Deutschlandfunk, dass es sich um einen Prozess handele. Hierbei seien Pubertätsblocker „ausgesprochen hilfreich“. Sie sprach von einem „Segen“ um einen Stopp einzulegen, wenn bei ersten Pubertätsanzeichen eine schwere Krise auftrete. Kinder wüssten teils schon früh, dass sie sich nicht im richtigen Geschlecht fühlen. Nebenwirkungen müsse man abwägen gegen das Leid, dass es zu verhindern gelte. In der Leitlinie wird empfohlen, dass nicht das Alter maßgeblich sein solle, sondern dass Ärzte und Psychologinnen gemeinsam mit den Eltern entscheiden sollen, wann mit einer Hormontherapie begonnen werden kann.
Aktuell befindet sich die Leitlinie in der Kommentierungsphase durch die Fachgesellschaften. Deren Vorschläge und Kritiken werden eingearbeitet, bevor die S2k-Leitlinie (Das “k” steht für den strukturierten Prozess der Konsensfindung, eine Leitlinie der höchsten Qualitätsstufe S 3 scheiterte an der dünnen Studienlage) „zur Diagnostik und Behandlung von Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter“ voraussichtlich im Juni erscheinen soll. (hin)
Weitere Informationen und transkript der Präsentation unter https://www.sciencemediacenter.de