„Kunst ist für alle da”

O.Titel Dance 1987 (c) Keith Haring (c) Fair Use

Die heiter fröhlichen Bilder mit hintergründigem Ernst von einer der beliebtesten Ikonen der amerikanischen Pop Art – Keith Haring – gehören heute zu den populärsten der Welt. Und gewinnen aktuell durch die sozialkritische Haltung des Aktivisten an Relevanz. So engagierte sich  Haring noch vor 1988, als bei ihm Aids diagnostiziert wurde, gegen die Immunschwächekrankheit, an deren Folgen er selbst 1990 im Alter von nur 31 Jahren starb. Zur Zeit präsentiert das Museum Folkwang in Essen noch bis 29. November eine umfassende Retrospektive mit rund 200 Exponaten, darunter großformatige Gemälde und Zeichnungen, Plakate, Fotografien und Videoarbeiten. Wer war der Künstler?  

  Keith Haring wurde am 4. Mai 1958 in Reading, Pennsylvania geboren und wuchs im benachbarten Kutztown auf. Sein Weg in die Kunst begann früh. Schon als Kind versuchte er sich mit Zeichnen, inspiriert durch Walt Disney-Zeichentrickfilme und durch seinen Vater, dessen Hobby das Comiczeichnen war. Nach seinem High-School-Abschluss 1976 besuchte Haring die Ivy School of Professional Art in Pittsburgh, die er nach kurzer Zeit abbrach. Beeinflusst durch eine Retrospektive von Pierre Alechinsky im Jahr 1977 und einen Vortrag von Christo 1978, entschloss er sich als Künstler zu arbeiten und zog 1978 nach New York, um die School of Visual Arts zu besuchen. Nebenbei studierte er Semiotik und experimentierte mit Videos und Performance, arbeitete als Hilfskellner in dem Nachtklub Danceteria. Alsbald tauchte er dann in die Straßenkunstszene von New York ein. In den Clubs wie Mudd, Club 57 und in der Diskothek Paradise Garage, den beliebten Treffpunkten der aufstrebenden Künstler, war Haring Dauergast. 

Der Anfang: Leere Werbeflächen und weiße Kreide

  Als ihm in den U Bahn-Stationen schwarze, unvermietete Werbeflächen auffielen, wagte er, diese, bewaffnet mit weißer Kreide, mit spontan und im Eiltempo angefertigten Figuren wie bellende Hunde, strahlende Babys, tanzende Menschen und fliegende Untertassen zu verschönern. Er übertrug die gleichen Figuren unverändert auf Leinwand, Plane oder Papier, um sie in Galerien und Museen zu präsentieren. “Das strahlende Baby”, ein krabbelnder Säugling mit ausstrahlenden Lichtstrahlen, wurde zu seinem bekanntesten Symbol. Er benutzte es als „Tag“ (Signatur), wie die Graffiti Künstler, um sein Revier zu markieren.

   Seine Graffiti-inspirierten Zeichnungen erregten jedoch binnen kurzem nicht nur die Aufmerksamkeit der New Yorker Pendler, sondern auch der Polizei: Haring wurde mehrfach wegen Vandalismus verhaftet. 

  Haring arbeitete schnell, manchmal schuf er sogar bis zu 100 Bilder an einem Tag. Zwischen 1980 und 1985 fertigte er mehrere Tausend Zeichnungen auf unterschiedlichsten Malgründen an und entwickelte dabei seinen ureigenen, unnachahmlichen Stil mit flächigen, stark auf die unverzichtbaren Merkmale reduzierten, seltsamen Figuren in lebhaften Farben und dicken schwarzen Umrisslinien.

   Zusammen mit anderen Künstlern und Musikern organisierte er Ausstellungen in Clubs, Restaurants und in leer stehenden Gebäuden. 1982 hatte er seine erste eigene Ausstellung, und es dauerte nicht lange bis er weltweite Anerkennung erlang.  In den folgenden Jahren war er ununterbrochen unterwegs, reiste in viele Länder für Ausstellungen und öffentliche Projekte in Europa, Amerika und Asien, sowie Australien. Er fertigte große Wandmalereien im Freien, nicht nur in New York, sondern auch in Atlanta, Chicago, Berlin, Rio de Janeiro und Melbourne an. So wuchs auch seine Popularität, welche durch die Freundschaft mit anderen (Graffiti-) Künstlern wie Kenny Scharf, Jean- Michel Basquiat sowie Andy Warhol und Madonna einen weiteren Schub bekam. Er wurde gefeiert wie ein Rockstar.

   Während seines kurzen Schaffenszeit von nur zehn Jahren transportierte Haring seine Kunst von der Straße in die Museen und Galerien auf der ganzen Welt und nahm an mehr als 100 Einzel- und Gruppenausstellungen teil. Nach seinem Tod kamen noch etliche hinzu. Viele seiner Werke befinden sich in zahlreichen renommierten Museen und Sammlungen, darunter das Art Institute of Chicago, das Museum of Modern Art in New York City und das Centre Georges Pompidou in Paris.    

Wegen der Kommerzialisierung seiner Arbeit heftig kritisiert

Der gewandte Kommunikator mit Sendungsbewußtsein Haring hat selbst früh auf seine eigene Musealisierung hingewirkt und damit die Ernsthaftigkeit und Museumswürdigkeit der Straßenkunst gezielt vorangetrieben. Damit nicht genug: In der festen Überzeugung, dass „Kunst für alle da“ ist, war er in späteren Jahren vor allem daran interessiert, seine Bilder zu vermarkten und seine Kunst mit kommerziellem Erfolg zu verbinden. Um seine Kunstproduktion auch ins Bewusstsein breiter Publikumsschichten zu bringen, eröffnete er im April 1986 den Pop Shop in Soho und verkaufte seine originalen Drucke, Skulpturen, Poster, Collectibles wie Taschen, Tassen und T-Shirts zu erschwinglichen Preisen. Ein Teil der Erlöse spendete er wohltätigen Einrichtungen. 1988 eröffnete er eine Filiale in Tokyo. Wegen der Kommerzialisierung seiner Arbeit wurde er allerdings heftig kritisiert. Seine Antwort darauf: „Ich könnte mehr Geld verdienen, wenn ich nur ein paar Dinge malen und den Preis erhöhen würde. Mein Laden ist eine Erweiterung dessen, was ich in den U-Bahn-Stationen gemacht habe, indem ich die Barrieren zwischen hoher und niedriger Kunst niedergerissen habe.“

 Als sozialkritischer Aktivist gelobt und gefeiert

Gelobt und gefeiert wurde er dafür, dass er sich als Aktivist mit seinen sozial kritischen Bildern, Kommentaren und Texten für Umweltschutz, atomare Abrüstung und Gleichberechtigung des Menschen unabhängig von seiner Herkunft, Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung einsetzte. Der Aktivist Haring war auch für seinen Engagement zur Förderung der AIDS-Organisationen bekannt. Er selbst bekannte sich 1989 öffentlich zu seiner Krankheit in einem Interview in der Zeitschrift Rolling Stone. 

Die Krankheit hinderte den workaholic aber nicht daran, weiter zu arbeiten. Haring starb am 16. Februar 1990  an den Folgen der AIDS. Obwohl er nur 31 Jahre alt wurde, vollendete er ein umfangreiches Oeuvre von über 10.000 Wandbildern, Zeichnungen, Gemälden, Plakaten, Videoarbeiten und Fotografien. Vor seinem Tod gründete er die Keith Haring Stiftung, um die Finanzierung der AIDS-Organisationen und Kinderprogramme fortzusetzen. 

 Obwohl Harings intellektuell reflektierte, politisch wie sozial kritische Kunst bereits in den 1980er Jahren entstanden ist, gewinnt sie heute durch atomare Rüstung, Klimawandel, Auswüchse des Kapitalismus, Flüchtlingsdramen, wachsenden Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus und Homophobie  erneut an Aktualität und Relevanz. Turhan Demirel