Sechs Männer mit geistiger Behinderung oder psychischer Beeinträchtigung sind im Staatlichen Museum Schwerin zu Museumsführern ausgebildet worden. Während einer „Kulturnacht” Ende Oktober boten sie erstmals drei Führungen an.
Schwerin (epd). Live-Musik auf einer selbst gebastelten Panflöte, feine Stoffe zum Anfassen oder Filmaufnahmen aus dem Zoo: Wer Lust auf eine ungewöhnliche Führung durch die Gemäldegalerie des Staatlichen Museums Schwerin hatte, war Ende Oktober bei der Schweriner Kulturnacht richtig. Sechs Männer mit geistiger Behinderung oder psychischer Beeinträchtigung boten dort Besuchern drei jeweils halbstündige Führungen an. Anschließend standen in der Kunstwerkstatt bei selbstgeröstetem Kaffee und anderen Köstlichkeiten für Gespräche zur Verfügung. Dafür haben sie sich im Rahmen eines inklusiven Pilotprojektes seit Mai zu Museumsführer ausbilden lassen.
Sieben Gemälde aus dem 17. und 18. Jahrhundert haben sie sich aus dem großen Bestand des Museums selbst ausgesucht, alles Bilder, die sie persönlich besonders ansprachen. Dazu gehören “Die Torwache” von Carel Fabritius oder “Im Maleratelier” von Gonzales Coques. Pro Bild stehen 15 Minuten zur Verfügung, in denen sie in leicht verständlicher Sprache Informationen zu dem Gemälde und ihrer persönlichen Beziehung dazu geben. Ergänzend gibt es zu zwei Gemälden Filmsequenzen, die über Laptops einsehbar sind.
Ein 20-Jähriger wählte ein 1716 entstandenes Gemälde des preußischen Hofmalers Antoine Pesne aus. Es zeigt das sehr junge Ehepaar Erbprinz Friedrich Ludwig von Württemberg und Henriette Marie, Markgräfin von Brandenburg-Schwedt, die zum Zeitpunkt ihrer Heirat im Jahr 1716 gerade mal 14 Jahre alt war.
Dass der Erbprinz auf dem Bild zärtlich ihre Hand hält, beeindruckt den frischgebackenen Museumsführer von heute besonders. Das zeige, dass auch schon vor 300 Jahren Leute aus Liebe heirateten. Für seine Führung zu dem Bild will er feine Stoffe, einen Ring und eine Zitrone mitbringen, alles Dinge, die auch auf dem Gemälde zu sehen sind. Die Zitrone, erläutert der geschichtsinteressierte junge Mann, sei damals ein Symbol für Reichtum gewesen.
Unweit des Pesne-Gemäldes hängt ein großformatiges Ölbild von Jean Baptiste Oudry, auf dem er 1749 in Lebensgröße das indische Panzernashorn “Clara” verewigte. Ein 32-Jähriger, der sich für Tiere interessiert, hat sich dieses Bild ausgesucht. Das Nashorn sei schön und außergewöhnlich, findet er. Für seine Führung hat er im Schweriner Zoo das Nashorngehege besucht und den zuständigen Pfleger ausführlich zu Nashörnern befragt. Das dabei entstandene Video wird am Sonnabend auch zu sehen sein.
“Ich bin schon ziemlich aufgeregt”, gab der 32-Jährige vor der Kulturnacht mit ihren vielen Besuchern zu. Vor der Premiere aufgeregt zeigte sich auch Birgit Baumgart, die Museumspädagogin des Staatlichen Museums Schwerin. Gemeinsam mit dem Lebenshilfewerk Hagenow und dem Netzwerk für Barrierefreiheit „capito Mecklenburg-Vorpommern” hatte sie das inklusive Pilotprojekt „Neue Wege zur Kunst” initiiert. Mindestens zwei Mal im Jahr, zur Kulturnacht im Herbst und zum internationalen Museumstag im Mai, wünscht sie sich inklusive Führungen mit den neuen Kulturführern.
In der Museums-Branche bewege sich in Deutschland noch viel zu wenig in Sachen Inklusion, meint Baumgart. Mit dem Schweriner Projekt solle Mut gemacht werden, dass Inklusion funktioniert, wenn man es will. „Die Bilder schreien danach, dass Leute sie mit sich selbst verbinden.” Sie finde es faszinierend, wie Menschen mit anderen Gedankengängen Führungen gestalten und nicht nur Daten und Fakten nennen, sondern erzählen, wie sie es sehen.
„Es gibt unterschiedliche Zugänge”, sagt Baumgart. Dieser sei dem Besucher vielleicht sogar viel näher. Bislang habe sie jedoch noch kein Museum in Deutschland gefunden, das solche Führungen anbietet wie das Schweriner jetzt. Ein Dokumentarfilm zum Projekt soll deshalb künftig auch unter den Museen für mehr Inklusion werben. Und Birgit Baumgart wünscht sich, dass sich einmal auch Gehörlose dafür begeistern lassen, in Gebärdensprache auszudrücken, was das eine oder andere Bild ihnen persönlich sagt.
Für Blinde und Sehende hatte das Schweriner Museum bereits vor fünf Jahren den ersten Museumsführer in Deutschland herausgegeben. Dafür hatten blinde Menschen aus Schwerin acht Werke der holländischen und flämischen Malerei des 17. Jahrhunderts aus der Sammlung des Schweriner Museums ausgewählt.