„Herrn Piepers Tulpen
sind die besten”

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Sehen, tasten, riechen, schmecken: Preetzer Pflegeheim bietet Bewohnern mit und ohne Demenz Sinnes-Mustergarten

Wunderschön sei der Garten, ein kleines Paradies: Diese Meinung teilt Karl-Ludwig Pieper mit seinen Mitbewohnern. Allerdings hat er auch den Blick fürs Detail: „Jede Menge Blumenzwiebeln sind hier gesetzt worden“, berichtet der 83-Jährige. „Die Blumen sind mittlerweile ausgeblüht und welk geworden.“ Und dann kam der Rasenmäher. „Das ist einfach falsch“, sagt Pieper. „Im nächsten Jahr blühen sie nicht wieder.“ Er weiß, wovon er spricht: Der Kieler ist gelernter Gärtner, war später 25 Jahre lang als Waldarbeiter für das Kloster Preetz aktiv. Im Garten hat er die Patenschaft für einen farbenfrohen Federbusch übernommen. „Ich kümmere mich um ihn, begieße ihn regelmäßig.“ Die Verantwortung lässt er sich nicht nehmen. „Kürzlich hatte jemand anderes die Pflanze begossen“, sagt er mit leichtem Verdruss in der Stimme. Folge: Sie wurde gelb. „Es kommt nun mal auf die genaue Wassermenge an“, so Pieper. 

Kurze Rast beim Gartenspaziergang: das Ehepaar Claus. Die Gartenbank hatte die Bewohnerin Heike Weiß aus ihrem früheren Zuhause mitgebracht.

Auch Christoph Claus (90) ist vom Fach: „Der Garten ist im Großen und Ganzen sehr, sehr schön“, sagt der frühere Diplom-Landwirt, „aber die Rasenflächen sollten im Herbst wegen der Nährstoffe mit Kalk bestreut werden.“ Wie Pieper lebt auch Claus seit drei Jahren im Preetzer Haus am Klostergarten. Seine Ehefrau Bärbel folgte ihm kurze Zeit später. „Wir sind jeden Tag hier draußen“, sagt sie. „Mich faszinieren die vielen Farben. Bei der Anlage wurde auf ein harmonisches Zusammenspiel der Blüten geachtet, das sieht man“, freut sich die 84-Jährige.

Mustergarten ist Ergebnis einer fruchtbaren Kooperation

Knapp einen halben Hektar misst der „Sinnes-Mustergarten für Menschen mit und ohne Demenz“ auf dem Areal des Pflegeheimes „Haus am Klostergarten“. Der Mustergarten ist das Ergebnis einer Kooperation der Pflegeeinrichtung und des Kompetenzzentrums Demenz Schleswig-Holstein. Die Initiative ging von Anne Brandt (Kompetenzzentrum Demenz) aus: Es gibt nur wenige Pflegeeinrichtungen, die ihren Bewohnern einen Zugang in große Grünanlagen bieten, obwohl Natur für Wohlbefinden und Gesundheit förderlich ist. Bei einem Treffen erzählte sie Susanne Sielaff-Untiedt von dieser Idee. „Und wir hatten den Platz dafür“, berichtet die Leiterin des Preetzer Heims.

Vor zwei Jahren starteten Gartengestaltung und Ausbau. „Eine Gartentherapeutin hatte das Konzept entwickelt, wir befragten Bewohner und Angehörige nach ihren Wünschen und beteiligten den Heimbeirat“, so Susanne Sielaff-Untiedt. „Es kam uns darauf an, dass der Garten alle Sinne anspricht, man die Natur also sehen, tasten, riechen und schmecken kann“, ergänzt Anne Brandt. „Wer sich hier draußen bewegt, soll alles spüren können. Beim Spüren muss man nichts leisten, man erlebt es einfach. Dazu zählen auch das Rauschen des Windes, die Wärme der Sonne oder die Erde in der Hand.“ 

Daneben ist die Gartenanlage ein sozialer Ort, wo man einander trifft, miteinander kommuniziert und – wer dazu in der Lage ist – sich beschäftigen und mithelfen kann. „Man kann Menschen mit Demenz auch was zutrauen“, sagt Anne Brandt. Was diese auch untereinander tun: „Herrn Piepers Tulpen sind die besten“, urteilt Christoph Claus. „Ich beobachte ihn schon lange – früher hätte ich ihn sofort eingestellt …“, schmunzelt er.

Das Preetzer Haus am Klostergarten bietet Platz für 163 Bewohner in acht Wohnbereichen, derzeit wird es auf 212 Plätze erweitert. Getragen wird es von den Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen des Kreises Plön. Im vergangenen Jahr wurde die Gartenanlage eröffnet.

„Ich kann gar nicht genug schwärmen“, sagt Edeltraut Baasch. Die 86-Jährige ist Vorsitzende des Heimbeirates. Sie ist jeden Morgen und jeden Mittag im Garten. Beeren und Früchte laden zum Naschen ein. „Erst gestern habe ich einige Himbeeren genossen.“ „Und für mich war heute früh keine einzige mehr da“, kommentiert Helga Knust mit einem Lächeln das Ergebnis. Auch sie gehört dem Beirat an.

Helga Knusts Lieblingsplatz: Vor den gelben Blüten.

„Ich genieße ihn zu jeder Jahreszeit”

Eva Hasselhuhn sieht man die Begeisterung für den Garten auf den ersten Blick an. „Ich bin jeden Tag draußen“, sagt die braungebrannte 70-Jährige. Meistens geht sie zusammen mit ihrem Partner Hartmut Wendt, den sie hier im Heim kennengelernt hat, durch den Garten.

Der Garten ist nicht nur im Sommer ein beliebter Treffpunkt. „Ich genieße ihn zu jeder Jahreszeit“, sagt Margrit Bausdorf (70). „Man kann immer auf einer anderen Bank sitzen, die Wege werden nicht langweilig.“ Das sei natürlich besonders während der Corona-Ausgangsbeschränkungen ein großer Vorteil gewesen.

Die Corona-Beschränkungen haben sich mittlerweile gelockert. Das Ehepaar Elisabeth (73) und Günter Kroll (83) hofft, den Bewohnern bald wieder einen bunten Veranstaltungskalender bieten zu können. Als Externe, die auch dem Beirat angehören, unterstützen die beiden ehrenamtlich seit Langem das Heim. Sie unterhalten sich mit den Bewohnern, gehen mit ihnen spazieren, bieten unter anderem Singen, Plattdeutsch, Kegeln oder Orff’sches Musizieren an.

„Mit dem Garten verfolgen wir insbesondere zwei Ziele“, sagt Anne Brandt. „Wir wollen Lebensqualität zum Anfassen und Ausprobieren bieten und planen Vorträge, Schulungen und Führungen, um dieses Konzept bekannter zu machen.“

Im September soll das Preetzer Projekt im Rahmen der UN-Dekade Biologische Vielfalt – Soziale Natur ausgezeichnet werden.                            Michael Göttsche