Heimerziehung im Nationalsozialismus

Ausflug von Bewohnerinnen des Marthasheims, um 1938. (Quelle: Archiv für Innere Mission, Bremen)

„Denn bin ich unter das Jugenamt gekommen“ schreibt Helmut Bödeker 1934 in seinem handgeschriebenen Lebenslauf. Den Rechtschreibfehler haben die „Macher” für den Titel ihrer neuen Ausstellung über die Bremer Jugendfürsorge und Heimerziehung zwischen 1933 und 1945 so übernommen. Das Zitat ist ein persönliches Zeugnis des „Zöglings“ aus dem Ellener Hof, der später eines gewaltsamen Todes sterben musste. Die Ausstellung ist noch bis zum 24. Februar 2019 in der Galerie im Park am Klinikum Bremen-Ost zu sehen.

Mit ihr werde erstmals überhaupt der Alltag von Bremer Jugendlichen in den Heimen der Jugendfürsorge in der Zeit des Nationalsozialismus dokumentiert, so die Ankündigung. Die Bremer Kulturwissenschaftlerin Gerda Engelbracht hat die Hintergründe im Auftrag des Diakonischen Werkes Bremen e. V. über Jahre wissenschaftlich recherchiert.

Die Ausstellung rekonstruiert das Erleben der jungen Frauen und Männer unter anderem im Isenbergheim, Marthasheim, im Ellener Hof und im St. Petri Waisenhaus, aber auch in außerbremischen Einrichtungen der evangelischen Jugendfürsorge, wie der Betheler Zweiganstalt Freistatt oder der Diakonissenanstalt Kaiserswerth. Sie zeige, so die Kulturambulanz in ihrer Ankündigung weiter, dass im Nationalsozialismus in der gesamten Wohlfahrtspflege ein neuer rassistisch geprägter Geist einzog. „Wer war brauchbar? Wer lebenswert? Das waren die zentralen Fragen eines sich radikalisierenden Fürsorgenetzwerkes zwischen Heim, Jugendamt, Ärzten und Polizei.”

Im Mittelpunkt der Schau stehen Biographien der Betroffenen. Sie zeigen die dramatischen, zum Teil tödlichen Folgen der Aussonderung aus der „Volksgemeinschaft“, erzählen von Zwangssterilisationen und Deportationen in Jugendkonzentrationslager oder Einrichtungen der „Euthanasie“-Aktion. Damit werde zum ersten Mal für Bremen nachgewiesen, dass Kinder und Jugendliche aus Heimen vorsätzlich Opfer der sogenannten nationalsozialistischen Gesundheitspolitik wurden.

Zu der Ausstellung wurde, gemeinsam mit vielen beteiligten Bremer Institutionen, ein Begleitprogramm initiiert, das einen Spannungsbogen schlagen will zwischen der Geschichte und aktuellen Fragen der Jugendfürsorge. Am 4. Dezember, ab 19 Uhr, referiert die Berliner Erziehungswissenschaftlerin Friederike Lorenz über Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in den stationären Hilfen der Gegenwart. Diese Veranstaltung findet in Kooperation mit der Bremer Bundestags-Abgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) statt. Über die Geschichte der Bremer Jugendfürsorge im Nationalsozialismus spricht Gerda Engelbracht am 16. Januar 2019 um 19 Uhr in Kooperation mit der Hochschule Bremen im Haus der Wissenschaft. Auch die Bremer Kinos beteiligen sich: Vom 7. Bis zum 10. Januar zeigt das City 46 den Film „Nebel im August“ über die Geschichte des Jugendlichen Ernst Lossa, der Anfang der vierziger Jahre aus dem Kinderheim in eine Nervenheilanstalt kommt, weil er als „nicht erziehbar“ gilt. Am 29. Januar um 18:45 zeigt das Cinema im Ostertor den Film „Freistatt… und wenn Du nicht artig bist, kommst du ins Heim“ von 2015, der ebenfalls den Kampf eines „Zöglings“ gegen Gewalt und Unterdrückung thematisiert – allerdings im Sommer 1968.Weitere Informationen unter www.kulturambulanz.de. (rd)

Lesen Sie auch unsere Serie über eine Zeitreise durch 70 Jahre Heimgeschichte („Von Freistatt bis Torgau”) sowie mehr über den Film „Nebel im August”: http://eppendorfer.de/nebel-im-august/