Ein Dezember-Montagmorgen 1994: „In der Fakultät war reger Betrieb. Ich hörte, wie sich die Studenten unterhielten, und ständig fiel mein Name, worauf ein allgemeines Gelächter folgte. Ich redete mir ein, dass ein Komplott gegen mich läuft und ging, nein ich lief nach Hause. Auf meinem Bett weinte ich stundenlang. Alles kam in mir hoch – alle Probleme. Gelähmt lag ich bis zum Abend auf meinem Bett.“ Abends geht Hartmut Haker in die Kneipe. Ihm ist unheimlich. Auf der Toilette schaut er in den Spiegel „und sah eine angstverzerrte, schweißüberströmte Fratze“. Zu Hause „dachte ich zum ersten Mal an Selbstmord“.
So schildert Haker in seinem Buch „Station 23 – Begegnungen in der Psychiatrie“ den Beginn seiner schizoaffektiven Psychose. Diesen und andere Abschnitte aus seinen Werken und damit den verschiedenen Phasen seiner Erkrankung trug der Autor im Rahmen einer Lesung in der Begegnungsstätte Café Hoch 3 des Hamburger Gemeindepsychiatrischen Zen- trums Eimsbüttel (GPZE) vor. Schnörkellos und direkt, schonungslos sich selbst gegenüber beschrieb Haker vor den rund 40 Besuchern sein Leben mit der Krankheit, die Therapien, die Hilfe durch Familie und Freunde, die Rückfälle. Dabei hütete er sich vor Schuldzuweisungen. In autobiographischer Intensität, nüchtern und nicht wertend gibt er in seinen Büchern das Erlebte in einfacher Alltagssprache wieder, wozu beispielsweise auch Schilderungen der Schicksale und Erfahrungen anderer Psychiatrie-Patienten gehören.
Die Wirkung entfaltete sich unmittelbar: Kaum hatte Moderatorin Jessica Reichstein (Hamburgische Gesellschaft für Soziale Psychiatrie) zur Diskussion angeregt, begann ein intensiver, ausführlicher Dialog mit dem Publikum. Ob Haker auch negative Erlebnisse während seiner 15 Klinikaufenthalte hatte? Für sich selbst verneinte Haker dies – mit Ausnahme der beiden Zwangsaufenthalte nach Suizidversuchen: „Drei Monate waren zu lang.“ Andere Patienten seien ruhiggestellt und fixiert worden, ihm war dies erspart geblieben. Allerdings sei auch ihm während eines kurzen Aufenthaltes der Angstlöser Tavor gegeben und anschließend nicht abgesetzt worden. „Ich wurde davon abhängig und musste später zur Entwöhnung zurück in die Klinik“.
Und er habe erfahren müssen, dass unterstützende Gespräche oft zu kurz kommen. „Man könnte diesen Patienten mehr helfen, auch beim Weg zurück ins Berufsleben.“ Haker selbst habe die Klinik bei seinen freiwilligen Aufenthalten als geschützten Raum wahrgenommen, zumal er zusätzlichen Halt im Familien- und Freundeskreis hatte. „Es war ein langer Prozess, auch mit wütenden Phasen. Aber heute geht es mir ganz gut.“ Ob er durch die Preisgabe auch intimer Details seiner Leidensgeschichte Nachteile erfahren habe? „Nein“, so Haker: In seinem Umfeld werde seine Erkrankung akzeptiert. Als er vor sieben Jahren eine Arbeit in Stuttgart angenommen hatte, bekam er eineinhalb Jahre später einen weiteren Schub. „Der Chef hatte aufgrund eigener Erfahrungen in seinem Umfeld viel Verständnis.“
Psychische Erkrankungen würden heute weit mehr akzeptiert als früher, sagte Hartmut Haker – wozu auch er selbst mit seinem Weg in die Öffentlichkeit beiträgt, um gegen Vorurteile anzukämpfen. (gö)