Haft für Ärzte, die psychisch
Kranken beim Suizid halfen

Dürfen Mediziner psychisch Kranken beim Suizid helfen? In dieser umstrittenen Frage gibt es seit heute ein zweites (Präzedenz-) Urteil. Das Landgericht Berlin hat den 74-Jährigen früheren Hausarzt Christoph Turowski wegen Suizidhilfe des Totschlags schuldig gesprochen und zu drei Jahren Haft verurteilt. Die 37-jährige Tiermedizin-Studentin, der er beim Suizid geholfen hatte, war aus Sicht der Richter wegen ihrer Depression nicht zur freien Willensbildung in der Lage. Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre und neun Monate Haft beantragt, die Verteidigung Freispruch. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Arzt kündigte Revision an. Er hatte vor Gericht erklärt, er habe zu keinem Zeitpunkt an der „Urteils- und Entscheidungsfreiheit“ der Frau gezweifelt, die bereit gewesen sei, notfalls einen Gewaltsuizid zu begehen.

In einem vergleichbaren Fall hatte Anfang Februar das Landgericht Essen den – in der Suizdhilfe als Sterbehelfer und hundertfacher Gutachter bekannten Neurologen und Psychiater Johann Spittler, 81, wegen Suizidhilfe an einem psychisch kranken Mann ebenfalls zu drei Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt. Auch hier sah das Gericht die „freie Willensbildung“ wegen der psychischen Erkrankung als „aufgehoben“ an, berichtete die taz. In diesem Fall ging es um „paranoide Schizophrenie“ . Der 42Jährige, um dessen Fall es ging, hatte bereits drei Suizidversuche hinter sich. Der Psychiater kam in einem Gutachten „zu dem Ergebnis, dass der Sterbewillige unter einer ,Residualsymptomatik nach mehrfachen paranoid-schizophrenen Erkrankungen, einer depressiven Störung sowie einer Sehminderung leide’“, zitierte die taz, der Psychiater war aber der Ansicht, dass die Einsichts- und Urteilsfähigkeit und damit auch die Freiverantwortlichkeit seines Klienten trotz der psychischen Erkrankung erhalten war. Auch er kündigte Revision an.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Urteil im Februar 2020 zwar die ärztliche Suizidhilfe grundsätzlich erlaubt, aber betont, dass die „Freiverantwortlichkeit“ des Sterbewilligen bei seiner Entscheidung gegeben sein muss. (rd/hin)

(Ausführlicherer Bericht zu Regelung und Gefahren der Suizidbeihilfe in der nächsten Printausgabe 3/24) die Anfang Mai erscheint.)