Psychischer Ausnahmezustand?
Todeschuss wirft Fragen auf

Ein Todesfall in Nienburg wirft Fragen nach der Verhältnismäßigkeit eines Polizei-Großeinsatzes am Ostersonnabend auf, bei dem ein 46 Jahre alter Mann tödlich verletzt wurde, der sich möglicherweise in einem psychischen Ausnahmezustand befand. Eine Polizistin wurde bei dem Einsatz schwer am Bein verletzt.

Laut Mitteilung der Polizeiinspektion Verden/Osterholz ergab eine Obduktion, dass der Getötete von acht Projektilen getroffen wurde. „Davon waren zwei Treffer erheblich. Ein Projektil traf das Herz und ein weiteres die Leber. Der Treffer im Herz war tödlich und der Mann verstarb innerhalb kürzester Zeit“, heißt es. Weitere Angaben in der Polizeimeldung widersprechen Angaben anderer Beteiligter gegenüber einer Zeitung. Der Getötete war 46 Jahre alt, stammte aus Gambia (Westafrika) und hatte einen Wohnsitz in Nienburg. Er war offenbar schon am Gründonnerstag in Hamburg-Harburg wegen Fahrens ohne Fahrschein in Gewahrsam genommen worden und soll drei Bundespolizisten mit einem Messer verletzt haben, berichtete der NDR mit Verweis auf Angaben der Staatsanwaltschaft. Ein Haftbefehl folgte aber nicht.

Hat der Mann wirklich seine Freundin mit einem Messer bedroht?

Als Hintergrund des Polizeieinsatzes in Nienburg nannte die Polizeiinspektion Verden, der 46-Jährige habe seine 40-jährige Freundin mit einem Messer bedroht. „Im Verlauf des längeren Einsatzes kam es zum Schusswaffeneinsatz der Polizeibeamten gegen den Mann, nachdem dieser die Beamten mit einem Messer angegriffen hatte.“ Die Staatsanwaltschaft Verden teilte dem NDR Niedersachsen auf Anfrage mit, nach bisherigem Ermittlungsstand sei die Polizei aufgrund des Notrufes von einer Bedrohungssituation durch ein Messer ausgegangen. „Ob die verstorbene Person tatsächlich die Ex-Freundin mit einem Messer angegriffen hat und auch die weiteren Einzelheiten des Ablaufs sind Gegenstand der laufenden Ermittlungen”, zitierte der Sender den Sprecher.

„Wir wollten ihm helfen”, so die Freundin

Ein Freund und die Freundin des Getöteten berichteten der taz, sie hätten die Polizei eigentlich gerufen, weil sich ihr Freund in einem psychischen Ausnahmezustand befunden habe. „Wir wollten ihm helfen“, so die Freundin. Seit mehreren Tagen sei es ihm schlecht gegangen. Erst vor Kurzem habe er eine Kündigung erhalten. Nach dem Vorfall in Harburg habe er „neben sich gestanden und wirre Dinge geredet“. Anders als von der Polizei später dargestellt, habe er sie nicht mit einem Messer bedroht, sagten die Frau und auch der Freund der taz. Sie habe den Notruf gewählt und um Hilfe gebeten, statt eines Krankenwagens seien mehrere PolizistInnen gekommen. Als diese eintrafen, habe der Gambier das Messer gezückt. Die Freundin gab des weiteren an, sie habe ihre Hilfe angeboten und gesagt, sie könne ihn zur Aufgabe bewegen, was die Polizei aber nicht zugelassen habe.

Der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes schätzte 2022 gegenüber Tagesschau.de, drei Viertel der durch Polizeikugeln Getöteten der vergangenen Jahre seien psychisch krank gewesen, eine Statistik gibt es dazu nicht. Experten seien sich einig, heißt es in dem Bericht: „Mit einer besseren Aus- und Fortbildung könnte ein Großteil der Toten verhindert werden.”

 Gegen die 14 in Nienburg eingesetzten Be­am­tin­nen und Beamten wird aktuell wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung ermittelt, u.a. durch Auswertung von Bodycam-Aufnahmen der Po­li­zis­ten. Ein laut Staatsanwaltschaft üblicher Vorgang, „um gerade auch den beteiligten Polizeibeamten die Beschuldigtenrechte zu gewähren”. (hin)