„Der Weg vom Menschen zum wahren Menschen führt über den Wahnsinnigen.“
(Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft)
Lange, menschenleere Gänge, glänzendes Linoleum, ein Fixierbett, ein schlurfender Mann, kahle, vergitterte Freiflächen, Armseligkeit – aber auch poetisch anmutende Klaviermusik im Hintergrund. Das ist der Rahmen für eine unheimlich nahe, klare und intensive filmische Auseinandersetzung mit Zwangspsychiatrie, die diesem Thema im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesicht gibt. Zwölf Tage – das ist die Frist, innerhalb derer in Frankreich ein Psychiatriepatient nach der Zwangseinweisung eine Anhörung vor Gericht bekommen muss. Der gleichnamige Film „Zwölf Tage“ ist seit dem 14. Juni in ausgewählten Kinos zu sehen.
In dem Streifen werden Anhörungen dokumentiert. Nah, direkt, unverfälscht. Regisseur und Fotograf Raymond Depardon bekam als erster Filmemacher überhaupt Zugang zu diesen Verfahren und dokumentierte zehn Fälle in einer Klinik in Lyon. „Wir sind die ersten, die die Umsetzung dieses Gesetzes filmen konnten und das Eindringen der Justiz in die psychiatrischen Institutionen“, schreiben Regisseur und Produzentin im Presseheft. Das, was bisher nur zum Feld der Psychiatrie gehörte, mache man nun zu einem öffentlichen Diskurs. In der Vergangenheit, bis 2013, lag die Entscheidung, einen Menschen gegen ihren oder seinen Willen festzuhalten, allein bei den Psychiatern und wurde ohne Einholung einer zweiten Meinung gefällt.
In Frankreich werden jährlich etwa 92.000 Frauen und Männer gegen ihren Willen in eine psychiatrische Klinik eingeliefert, ca. 250 täglich. Klarer und eindringlicher als es jede Beschreibung vermag, bringt der Film die menschliche Dramatik bis hin zur Aussichtslosigkeit manch schwerer psychischer Erkrankung auf den Punkt. Da ist der Mann, der nach einem Jahr Klinik immer noch Stimmen von einem elektrischen Stuhl hört und wegen Selbstverletzungsgefahr weiter eingesperrt bleiben muss. So wie die Frau, die nur sterben will, das Leben in einer therapeutischen WG aber als Weg aus ihrer Einsamkeit sieht. Vorher müsse sie jedoch noch weiter behandelt werden, urteilt die Richterin. Gleiches sagt sie zu der Mutter, die in der Klinik so schmerzhaft ihre Tochter vermisst: „Ihr Kind braucht eine gesunde Mutter!“ Andere empfinden sich nicht als krank. So wie der aus dem Gefängnis überstellte Kriminelle, der auch nach drei Jahren noch an seinem Wahn festzuhalten scheint – er hat einst seinen Vater umgebracht. (hin)
Hamburg – 3001 Kino – ab 14.6.
Hamburg – Metropolis Kino- am 16. + 20.6.
Hannover – Kommunales Kino – ab 14.6.
Berlin – Brotfabrik – ab 14.6.
Berlin – FSK Kino – ab 14.6.
Berlin – Soho House Berlin – am 11.6.
Berlin – Tilsiter Lichtspiele – ab 14.6.
Weitere Informationen: http://grandfilm.de/12-tage/