„Ex-In hat mir eine
Stimme gegeben“

Christel Achberger, Ulrike Onusseit, Nadja Witt, Alf Grabowski (v.l.). Alle bis auf Achberger sind selbst Ex-Inler, gemeinsam sind sie das Ex-In-Projektteam für SH. Foto: Geißlinger

Geschulte Psychiatrieerfahrene sollen in Kliniken, Beratungs- und Begegnungsstätten mitarbeiten: „Experienced Involvement“, Ex-In, heißt diese Einbeziehung von Betroffenen. Schleswig-Holstein hinkt in der Umsetzung hinter anderen Bundesländern her. Allmählich aber scheint Bewegung in das Thema zu kommen, wie Veranstaltungen in Neumünster und Kiel zeigten.

„Ex-In ist Scheiße“, rief Jens-Christian Mohr in den Saal. „Scheiß-anstrengend nämlich.“ Ein Jahr lang dauerte die Ausbildung zur Ex-In-Kraft, und es sei schlimm gewesen, berichtete der Kieler: „Was soll man auch erwarten, wenn man mit 20 Super-Psychos in einem stickigen Raum mit mäßigem Mittagessen steckt?“ Doch dass Mohr, der Phasen von Depression und sozialen Phobien durchgemacht hat, nun vor einem großen Publikum sprechen kann, sei eben diesem Kursus zu verdanken: „Ex-In hat mir eine Stimme gegeben.“ Demnächst wird er als Peer-Berater im Gesundheitsamt der Landeshauptstadt anfangen. Damit ist er einer von vielen, die nach einem Ex-In-Kursus eine Stelle gefunden haben.

Die Kostenfrage ist weiter ungeklärt


Das sei auch gut so, sagte Christel Achberger von der Projektgruppe Ex-In für Schleswig-Holstein: „Viele denken, die Einbeziehung von Erfahrenen sei etwas Nettes nebenbei, aber das stimmt nicht.“ Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibe Beteiligung vor, und „eigentlich müsste jede Einrichtung, jeder gemeindepsychiatrische Verbund dazu ein Konzept haben“, so Achberger. Inzwischen ist in Schleswig-Holstein der achte Kurs in Planung. Doch die Kostenfrage ist weiter ungeklärt, das Einwerben von Fördermitteln schwierig. Rund 3600 Euro kostet die Fortbildung – eigentlich ein geringer Preis für ein Jahres-Programm, dennoch ist sie für die meisten Psychiatrieerfahrenen nicht bezahlbar. Achberger wünscht sich, dass Kostenträger wie die Rentenkasse den Nutzen des Programms erkennen. Stattdessen wüssten auch Fachleute noch zu wenig über Ex-In, bedauert sie: „Einige raten Interessierten sogar ab, weil sie nicht stabil genug seien.“ Dabei entstehe die Stabilität oft im Lauf des Kurses, bei dem die Teilnehmenden über ihre eigene Krankheitserfahrung sprechen und sich mit den Erfahrungen anderer auseinander setzen.

„Wild entschlossen”, in die Ex-In-Ausbildung zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen

Gerwin Stöcken, Stadtrat für Soziales in Kiel, verkündete beim Sozialpolitischen Hearing im Rathaus: „Ich bin wild entschlossen, in die Ex-In-Ausbildung zu investieren und Arbeitsplätze in Einrichtungen zu schaffen.“ Er hoffe auf viel Begleitung auf diesem Weg, sagte er unter Beifall.
Denn Ex-Inler seien Übersetzer, Türöffner, Brückenbauer – diese Begriffe fielen immer wieder bei dem Fachtag in Neumünster, zu dem die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) eingeladen hatte, und dem Sozialpolitischen Hearing der Stadt Kiel. Wie die Arbeit aussieht, aber auch welche Schwierigkeiten es gibt, berichteten Fachleute aus den Kliniken im Land, in denen Ex-In-Kräfte als Genesungsbegleiter eingesetzt sind.


Vor allem das Pflegeteam habe Zweifel, sagte Rebekka Lencer vom Lübecker Zentrum für Integrative Psychiatrie (ZIP): „Die oft gestellte Frage ist, wie ein Patient auf einmal Teil des Teams sein kann.“ Die ebenfalls häufige Sorge, Ex-In-Kräfte seien häufiger krank, bestätige sich in der Praxis nicht.
Rico Bernstein, Oberarzt der Curtius-Klinik in Bad Malente-Grevesmühlen, sagte, dass es auch in seiner Klinik anfangs Bedenken gegeben habe, aber inzwischen sei „die Stigmatisierung aus den meisten Köpfen raus, und alle haben den Nutzen der Genesungs-Begleitung erkannt“. Bernstein weiter: „Die Patienten melden zurück: euer Team ist anders, ihr macht es anders, macht so weiter.“ Wichtig sei, dass Geschäftsführer und Chefarzt hinter dem Projekt stünden.

Lösungen verlangen Flexibilität – bei Arbeitgebern und den Ex-In-Kräften


Rüdiger Arnold, Leitender Oberarzt für Psychiatrie und Psychotherapie am AMEOS Klinikum Lübeck, berichtete gemeinsam mit Genesungsbegleiterin Mona Martens ebenfalls von Vorteilen, benannte aber auch Probleme: Da die Genesungsbegleitungen keinen festen Platz im Krankenhaus-System haben, sind formale Fragen ungeklärt, etwa bei welchen Terminen sie dabei sind und wie ihre Arbeit dokumentiert wird.
Wie die Ex-In-Kräfte in ambulanten Einrichtungen eingesetzt werden, zeigten Beispiele aus Kiel. Christian Sach und Ava Johannsen sind beide beim Kieler Fenster tätig, beide erledigen vielfältige Aufgaben. Sach betonte aber auch, dass er nicht nur eine Behandlung auf Augenhöhe, sondern auch Rücksicht auf seine Krankheit erwarte. Seinen Mini-Job teilt er sich mit dem Ex-Inler Thomas Bartels. Solche Lösungen verlangen auch Flexibilität des Arbeitgebers, sagte Daniel Hoppmann vom Kieler Fenster: „Aber wir haben es möglich gemacht.“
Flexibilität brauchen auch die Ex-In-Kräfte selbst: Ulrike Onusseit etwa, die der Ex-In-Projektgruppe angehört, arbeitete nach dem Ex-In-Kurs zunächst als Mini-Jobberin bei der Brücke SH und kümmerte sich parallel um ihr „Herzensthema“, nämlich Kinder psychisch kranker Eltern. Inzwischen hat sie sich als Dozentin selbstständig gemacht. „Und das, obwohl ich damals nicht einmal allein zum Kurs gehen konnte“, erinnert sie sich. Esther Geißlinger (Originalveröffentlichung im EPPENDORFER 6/24)