„Ein Kunstwerk ist
ein Kunstwerk”

Outsider-Art der US-amerikanischen Künstlerin Alpha Andrews. Foto: Sammlung Demirel

Lange Zeit von der Kunstöffentlichkeit als kuriose Randerscheinung ausgeblendet oder nur widerwillig zur Kenntnis genommen, rückt die „Outsider Art“ in den letzten Jahren deutlich stärker ins öffentliche Bewusstsein und erfreut sich wachsender Beliebtheit. Immer mehr Menschen entdecken die Faszination, die von ihr ausgeht, und der Kreis der Bewunderer, Kenner, Liebhaber und Sammler wird umso größer.  Der Wuppertaler Neurochirurg und Privatsammler Turhan Demirel  setzt sich im folgenden kritisch mit dem Begriff  auseinander. 

„Die Bezeichnung Outsider Art geht auf ein gleich betiteltes Buch des englischen Kunstschriftstellers Roger Cardinal, aus dem Jahre 1972, zurück. Diese war primär mit Dubuffets Einverständnis, als englisches Synonym für Art Brut vorgesehen und setzte sie sich sehr schnell weltweit, auch in deutschem Sprachraum, durch. Sie hielt sich anfänglich an die Definition von Art Brut. Im Laufe der Zeit ist dieser Begriff Wandlungen unterworfen und aufgeweicht. Heute versteht man darunter eine Sammelbezeichnung für all jene künstlerischen Ausdrucksformen, die außerhalb des Mainstream-Kunstbetriebs, jenseits der Kunstgeschichte –und Tradition sowie unabhängig von Strömungen der Kunst in Erscheinung auftreten. Die flexible und weniger verbindliche Bezeichnung Outsider Art geht heute, insbesondere in den USA, weit über den starren, dogmatischen Art Brut Begriff hinaus und deckt ein breiteres Spektrum ab. So zum Beispiel gehören naive Kunst, Volkskunst, die Kunst von künstlerisch begabten Autodidakten und Amateuren dazu. 

Extreme Individualisten, ohne stilistische Gemeinsamkeiten

Setzt man nun den Begriff Outsider Art als ein Erklärungs- und Deutungsmodell eines komplexen, vielschichtigen künstlerischen Phänomens, in Beziehung zur Wirklichkeit, so wird offensichtlich, dass er mit Mängeln behaftet und unbefriedigend ist. Denn: Mit diesem Begriff verbindet sich für viele die Vorstellung, einer in sich geschlossenen, homogenen. künstlerischen Bewegung mit einheitlichen stilistisch-formalen Kriterien. Tatsache ist, dass diese Künstlerinnen und Künstler originäre Einzelgänger, extreme Individualisten, ohne stilistische Gemeinsamkeiten sind und sich jeder typologischen Einordnung und pauschalen Kategorisierung entziehen. 

Ebenso unbefriedigend und problematisch ist auch der Versuch, zwischen spezifisch individuellen und sozialen Merkmalen der Kunstschaffenden (Outsider) und ihrer Kunst, direkte Bezüge herzustellen und diesen Aspekt als Orientierungsgröße für die künstlerische Bewertung heranzuziehen. Auch wenn biografische Elemente in das Werk eines Künstlers mit einfließen können, wäre es dennoch verfehlt, wollte man die Werke von Outsidern einzig und allein nach ihrer Lebens -und Krankengeschichte bewerten.

Andersartigkeit  darf nicht Maßstab für die Beurteilung von Kunst sein

Der soziale Status oder der geistige Zustand des Schöpfers, mit anderen Worten seine „Andersartigkeit“ bzw. „Außenseitertum“ darf nicht als Maßstab für die Beurteilung seiner Kunst werden. Eine solche Einstellung begrenzt die Wahrnehmung auf einen unerheblichen Nebenaspekt, führt von dem Künstlerischen weg, verstellt den Blick auf das Werk selbst und  wird weder dem Werk noch dessen Urheber gerecht. Denn: Der Wert eines Kunstwerks bemisst sich nicht daran, ob der Schöpfer, der es geschaffen hat, sich als Künstler begreift, gesellschaftskonform verhält, ob er krank oder gesund ist. Man kann ein Kunstwerk bewundern und wertschätzen, ohne die Kenntnis der  Lebensumstände seines Schöpfers.

Von vielen Künstlern aus den vergangenen Epochen, deren Werke wir bestaunen, wissen wir wenig oder gar nichts. Sie werden allein durch ihr Werk und nicht durch etwas anderes als Künstler legitimiert. Niemand käme ernsthaft auf die Idee, den künstlerischen Wert der Werke von Van Gogh auf Grund seiner geistigen Verfassung und seines unangepassten und unbotmäßigen Lebenswandels, zu verschmälern.

Entscheidend sind allein die ästhetischen Qualitätskriterien

Für mich ist ein Kunstwerk ein Kunstwerk, unabhängig davon, ob sein Schöpfer krank oder gesund, ob er integrales Mitglied der Gesellschaft ist oder nicht. Entscheidend für die künstlerische Bewertung sind die ästhetischen Qualitätskriterien, die für alle gleichermaßen gelten. Erfüllen die Werke diese Kriterien, so lässt sich feststellen, dass zwischen der Kunst von Outsidern und Berufskünstlern kein grundlegender Unterschied besteht. Sie sind somit gleichwertig.

Deshalb denke Ich, wir alle würden gut daran tun, von Begrifflichkeiten und Kategorisierungen, die den Künstler ebenso ausgrenzen, wie das Werk selbst, abzusehen und uns auf den Kern allerkünstlerischen Tätigkeiten, nämlich: auf die schöpferische Fantasie, handwerkliches Können, Originalität des Ausdrucks, individuelle Bildsprache, authentische Ausdruckskraft, Intensität und Stimmigkeit, sowie Unverwechselbarkeit des persönlichen Stils, zu konzentrieren. Nur so können wir den Kunstwerken, deren Schöpfern und dem Anspruch der Kunst, unteilbar und universal zu sein, gerecht werden. ”                                                                                            Turhan Demirel