Im Mai 1968 war er nur rund zwei Wochen aktiv. Aber wie: Nahezu manisch durchquerte Peter Ernst Eiffe Hamburg und überzog Toiletten, Verkehrsschilder und Briefkästen mit seinen Sprüchen und Parolen. Vermutlich war er der erste Graffitiwriter Deutschlands. Später verbrachte er lange Jahre in der Psychiatrie in Rickling. Unter dem Titel „Eiffe for President – Alle Ampeln auf gelb“ beleuchten ein 2019 erschienenes Buch mitsamt DVD das Leben des früheren Graffitistars – und Langzeitpatienten. Jetzt wurde das Buch mit dem mit 5000 Euro dotierten Preis der Staatsbibliothek für das beste Hamburg-Buch ausgezeichnet. Die Jury wertete das Werk von Christian Blau (in Zusammenarbeit mit Artur Dieckhoff) u.a. als „faszinierend skurrile Hamburger Perle”. Das Buch setzte sich gegen sechs weitere Nominierungen durch, darunter eine Jan-Fedder-Biographie und eine Dokumentation über die Entstehung der Speicherstadt. Anbei ein Nachdruck der Buchvorstellung in der EPPENDORFER-Printausgabe 6/2019.
Vermutlich war er der erste Graffitiwriter Deutschlands, der dafür die damals neuen Filzschreiber verwendete. Seine kurze Berühmtheit findet einen spektakulären Höhepunkt, als er mit einem Fiat in die Wandelhalle des Hauptbahnhofs fährt und die „Freie Republik Eiffe“ ausruft. Daraufhin landet er in der Psychiatrie. Was von ihm blieb war ein Mythos. Der Dokumentarfilm „Eiffe for President – Alle Ampeln auf gelb“ hat Eiffe ein eindrückliches Denkmal gesetzt. Anlässlich der Digitalisierung des Films sowie einer neuen Buchveröffentlichung gab es jetzt ein Eiffe-Revival. Eine Entdeckung, die sich lohnt.
Man muss ihn sich vorstellen, diesen Eiffe, wie er sich unter die linke Szene mischte, schweigend daneben saß, mit Schlips und Kragen – man dachte schon, er sei vom Verfassungsschutz … Und dann die überlieferte Szene, als er während einer Studenten-Vollversammlung durch den Audimax geht, eine Spielzeug-Maschinenpistole im Anschlag, aus der er einen Wasserstrahl pumpt, dabei „Ratatata ratatata“ schreiend. Als „Menetekel“ des drohenden Untergangs der Studentenbewegung im Terror, also als Vorzeichen des drohenden Unheils, beschreibt dies einer der Augenzeugen. Eiffe habe zu einem Umfeld gehört, „das wir akzeptiert haben, von Menschen, die mitgemacht haben, die sich also selbst ausgegrenzt hatten und die in diesen Freiräumen zu agieren angefangen haben“, erklärt der einstige APO-Aktivist Karl Heinz Roth.
„Eiffe der Bär kommt bald, „Eiffe will Bundeskanzler werden“,
„Sei keine Pfeife wähl Eiffe“, „Eiffe ist lieb“ ...
(Graffitisprüche von Eiffe)
Wer war Eiffe? Er wuchs als Adoptivsohn behütet, wie es heißt, bei einer alten Hamburger Familie auf. Ging nach dem Abitur zur Bundeswehr, studierte Wirtschaftswissenschaften, brach ab, wechselte auf eine Stelle im Statistischen Landesamt, heiratete, wurde Vater und schon bald von seiner Frau verlassen und im März 1968 geschieden, wenig später „wegen auffälligen Benehmens“ auch in der Firma entlassen. In dieser Krisensituation fing er an zu agieren.
Er soll schwer an den Folgen einer Lithium-Vergiftung gelitten haben
Später wird Eiffe Langzeitpatient. Er soll schwer an den Folgen einer Lithium-Vergiftung gelitten haben, saß wohl zeitweise im Rollstuhl und verbrachte seit 1970 – wohl mit einer schweren Depression eingeliefert – viele Jahre in der Ricklinger Psychiatrie. Auch dort schreibt oder kritzelt er weiter. In Rickling finden die Dokumentaristen holprige Inschriften, die auf gestörte Feinmotorik schließen lassen. Er beschreibt die Wände seines Zimmers. Weihnachten 1982, mit knapp über 40 Jahren, verschwindet er aus der Anstalt, seine Leiche wird viele Wochen später auf einer Moorwiese entdeckt.
In den 1990er-Jahren fingen der Filmemacher Christian Bau und Artur Dieckhoff an, sich mit Eiffe zu beschäftigen. Daraus entstand ihr Dokumentarfilm „Eiffe for President“. Seine Tochter (die ihn kaum kannte), Weggefährten und ehemalige Krankenpfleger erinnern sich und schildern seinen Werdegang.
In Rickling kommt es dabei noch zu einer weiteren Wendung: Eiffe schwärmt plötzlich vom Großgermanischen Reich. Er erfindet den „Epunktuismus“, der als philosophisch-theologischer Überbau zum Großgermanischen Reich fungieren soll, heißt es im Buch, und kündigt in krakeligen Briefen die Gründung einer „Freien Deutschen Partei Groß Germanien“ an. „Es ist wie eine gespenstische Wiederkehr des gleichnamigen Adoptivvaters, der als hochrangiger NS-Funktionär Gesandter Hamburgs in Berlin war“, schreibt Theo Bruns in seinem Geleitwort. „Und ein Zeichen, wie sehr er in mancherlei Hinsicht selbst in der Revolte gegen die Eltern- und Tätergeneration noch bis auf die Knochen durchtränkt war vom Geist der NS-Vergangenheit.“
„Also, du wünscht einfach niemandem so ein Leben“, endet der Beitrag der Tochter.
Aber es hat sich gelohnt, Eiffe wiederzubeleben!
Anke Hinrichs
die thede e.V. (Hg.): „Eiffe for President – Alle Ampeln auf Gelb“, für die thede herausgegeben von Christian Bau in Zusammenarbeit mit Artur Dieckhoff, ISBN 978-3-86241-470-3, 144 Seiten, Hardcover, 20 Euro. Buch mit Film auf DVD, s.a.http://www.assoziation-a.de/buch/Eiffe
Die Preisverleihung von HamburgLesen2020 fand am Freitag den 23. Oktober um 17 Uhr statt. Sie kann hier nachgeschaut werden.