Ehemalige Heimkinder
fordern Gerechtigkeit

Die heute 82-jährige Barbara Kähler lebte und litt in den Nachkriegsjahren und bis weit in die 1970er hinein in Behindertenheimen oder psychiatrischen Einrichtungen. Foto: Geißlinger

„Du schwachsinniges Kind“, so nannte die Frau eines Arztes die kleine Barbara immer, wenn sie sie in den Gängen des Hesterbergs, der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landeskrankenhauses in Schleswig, traf. Da sonst kaum mit ihr geredet wurde, fand das Mädchen das richtig nett: „Ich wusste nicht, was das bedeutet“, sagt die heute 82-jährige Barbara Kähler. Sie gehört zu einer Gruppe ehemaliger Heimkinder, die in den Nachkriegsjahren und bis weit in die 1970er hinein in Behindertenheimen oder psychiatrischen Einrichtungen gelebt und gelitten haben. Im Kieler Landtag hatten sie nun Gelegenheit, ihre Geschichten zu erzählen. Und sie fordern späte Gerechtigkeit.

Dazu zählen die Anerkennung und Entschädigung ihrer Leiden und ein besseres Augenmerk auf heutige Einrichtungen: „Es wurde damals gegen Menschenrechte verstoßen und kleine Kinder wie Verbrecher behandelt“, sagt Günter Wulf, der 1967 in der Vorwerker Diakonie in Lübeck und ab 1969 im Hesterberg unter schwersten Misshandlungen gelitten hat. „Mein Hauptanliegen ist, dass heute die Kinder in Heimen, die Alte in Pflegeeinrichtungen und in sonstigen Einrichtungen menschwürdig untergebracht sind und so behandelt werden, wie es ihr Menschenrecht ist.“

Seit einigen Jahren können sich Betroffene an die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ wenden, eine Anlaufstelle für Menschen, die als Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe oder der Psychiatrie „Leid und Unrecht erfahren haben und heute noch an Folgewirkungen leiden“, wie es auf der Internetseite der Stiftung heißt. Auch Geld gibt es: Eine „pauschale Geldleistung“ von 9000 Euro und 5000 Euro als Ersatz für entgangene Rente für Menschen wie Barbara Kähler, die viele Jahre als unbezahlte Arbeitskräfte in den Heimen eingesetzt waren.

Doch einige Betroffene kritisieren die Stiftung, weil in deren Beirat Personen aus Kirche und vom Land sitzen, also die „Täterorganisationen“, so Eckhart Kowalke vom Verein ehemaliger Heimkinder. Kritik gibt es auch daran, dass ursprünglich nur noch bis Frühjahr 2019 Zeit bleiben sollte, einen Antrag für Unterstützung einzureichen. Die Frist wurde inzwischen bis 31. Dezember 2020 verlängert. Die Betroffene Elsa Nicklas-Beck schlug außerdem vor, Geld aus dem Topf der Stiftung, das nicht verbraucht wird, denjenigen unter den ehemaligen Heimkindern zukommen zu lassen, die im Alter Pflege brauchen und ohne Extra-Geld in ein Heim müssten. Davor hätten viele der ehemaligen Psychiatrieinsassen Angst. Ein ausführlicher Bericht über die Veranstaltung in Kiel steht im nächsten EPPENDORFER.