Der Streit um
die E-Zigarette

Weniger schädlich als reguläre Zigaretten: E-Zigarette. Foto: Vaporesso/UnsplashWeniger schädlich als reguläre Zigaretten: E-Zigarette. Foto: Vaporesso/Unsplash

Es waren alarmierende Meldungen, die 2019 aus den USA kamen: Eine Welle von Lungenerkrankungen, die im Zusammenhang mit E-Zigaretten standen, hatte zu 57 Todesopfern geführt. Schnell kam auch in Europa die Frage auf, ob E-Zigaretten nicht ein Gesundheitsrisiko darstellen, sie vielleicht sogar ganz verboten werden sollten.

Mittlerweile weiß man, dass der Wirkstoff, der voraussichtlich zu diesen Erkrankungen geführt hat, ein Vitamin-E-Acetat ist, das als Verdickungsmittel für THC verwendet wird, also eher in illegalen Produkten vorkommt. Zudem ist in den USA die Konzentration des Nikotins dort teilweise dreimal so hoch ist wie in Europa, weil Lobbyisten eine Regulierung, anders als in der EU, verhindern konnten. Ist dies also ein Grund zur Entwarnung? Und kann man die E-Zigarette als Mittel zur Entwöhnung einsetzen?

Expertendiskussion zum Streit um Chancen und Risiken von E-Zigaretten

E-Zigaretten werden von der Wissenschaft als risikoärmere Alternative zum Nikotinkonsum angepriesen. Das britische Gesundheitsministerium schätzt, dass elektronische Zigaretten 95 Prozent weniger schädlich sind als die konventionellen Tabak-Zigaretten. Folgerichtig ist die E-Zigarette in Großbritannien Teil der Raucherentwöhnungskampagne, Raucher werden beim Übergang von der Zigarette zur E-Zigarette unterstützt. Bei einem Press-Briefing des Science Media Center Germany zum Thema „Wie sollen E-Zigaretten künftig reguliert werden?“ wurde von PD Dr. Ute Mons (Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg), Lungenfacharzt Dr. Thomas Hering (Berlin) und Prof. Dr. Daniel Kotz (Professor für Suchtforschung und klinische Epidemiologie, Universitätsklinikum Düsseldorf) diese Sicht unterstützt: Es bestehe kein Grund, angesichts von Todesfällen in den USA die E-Zigarette zu verteufeln.

Dr. Thomas Hering setzte die aufgrund einer missbräuchlichen Anwendung des Vitamin-E-Acetats gestorbenen 57 Menschen in den USA in Relation zu den 120.000 Toten pro Jahr in Deutschland, die bestimmungsgemäß Tabakzigaretten konsumiert hatten. „Das heißt ungefähr 380 Tote pro Tag. Pro Tag! Ich will das gar nicht weitertreiben.“ 40- bis 50.000 Menschen würden jährlich in Deutschland an Lungenkrebs sterben, 27.000 an COPD. Beide Erkrankungen kämen vom Rauchen. Als Lungenarzt empfehle er einer kleinen Zahl von Süchtigen die Entwöhnung mit E-Zigaretten, nämlich jenen mit einer Lungenerkrankung oder Herzerkrankung kurz vor dem Infarkt.

Wenn die Dringlichkeit für die Entwöhnung sehr hoch ist und auf der anderen Seite erkennbar wird, dass eine Entwöhnung nicht möglich ist, dann ist die E-Zigarette durchaus ein Mittel, zu dem man solchen Patienten raten kann.

Dr. Thomas Hering

Es sollte dann aber ausschließlich die E-Zigarette konsumiert werden. „Wenn also doch nebenher geraucht wird, verpufft der Schutzeffekt völlig.“

Prof. Dr. Daniel Kotz, der klinische Studien zur Tabakentwöhnung leitet, verdeutlichte, dass Tabakrauchen sehr schnell und sehr stark süchtig macht. Das liege am Nikotin der Tabakpflanze. „Wenn 100 Raucherinnen und Raucher heute hochmotiviert sagen ,Ich höre mit dem Rauchen auf und versuch das aus eigener Kraft’, dann würden mindestens 95 nach einem Jahr wieder rauchen.“

Kassen zahlen keine Rauchstopp-Versuche

Deswegen sei es auch wichtig, Rauchstopp-Versuche zu unterstützen: „Am liebsten mit Methoden, die in klinischen Leitlinien genannt werden, zum Beispiel Nikotinpflaster, verhaltenstherapeutische Gruppen oder Entwöhnungstherapien. Leider werden diese in Deutschland sehr selten genutzt. Und leider werden diese Maßnahmen auch nach wie vor von den Kassen nicht bezahlt.“ Die E-Zigarette sei derzeit die am häufigsten genutzte Maßnahme in Deutschland, um Rauchstopp-Versuche zu unterstützen. „Von allen Raucherinnen und Rauchern, die einen Versuch unternehmen, unterstützen ungefähr zehn Prozent diesen mithilfe einer E-Zigarette – teilweise mit und teilweise ohne Nikotin in der E-Zigarette. Beides ist möglich.“

Nikotinersatztherapie als nächsthäufigstes pharmakologisches Mittel nutzten nur ungefähr sechs Prozent. Gründe: Das zur Substitution benötigte Nikotin lasse sich punktgenau dosieren und das Gerät sich einfach und schnell bedienen, um den Suchtdruck zu mildern. „Andererseits sind diese Geräte wesentlich billiger als apothekenpflichtige Medikamente zur Tabakentwöhnung und haben eine Haptik, die Raucherinnen und Raucher gut kennen. Und es gibt natürlich unterschiedliche Geschmacksrichtungen, die man sich so zurechtstellen kann, dass es zu einem persönlich passt.“ Die Geräte seien aber nicht völlig risikofrei.

E-Zigaretten sind weniger schädlich

Dr. Ute Mons, Expertin für Tabakkontrolle am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, hielt sich zur Frage von Gesundheitsrisiken von E-Zigaretten zurück: „Die werden wir erst in vielen Jahren abschließend beantworten können.“ Man könne aufgrund der Forschungsliteratur aber recht belastbare Einschätzungen treffen: „E-Zigaretten sind nicht risikofrei, sie enthalten auch einige Schadstoffe und es gibt ein gewisses Schadenspotenzial, insbesondere für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und für Lungenerkrankungen.“ Aber sie seien erheblich weniger schädlich als die herkömmliche Zigarette, wenn sie sachgemäß verwendet werde.

Eine große Studie zur Tabakentwöhnung aus England, die im letzten Jahr publiziert wurde, habe gezeigt, dass die E-Zigarette dort auch deutlich besser war als Nikotinersatzprodukte, also etwa Nikotinpflaster. Eine Sorge besteht, dass E- Zigaretten den Einstieg in das Rauchen fördern könnten. Hier gab Mons Entwarnung: Ein regelmäßiger E-Zigarettenkonsum sei unter Jugendlichen sehr selten und bewege sich im Prinzip auch konstant auf niedrigem Niveau. „Die letzten Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben gezeigt, dass die regelmäßige Nutzung von E- Zigaretten unter Jugendlichen sehr gering ist. Das sind irgendwie so drei oder vier Prozent und das relativ konstant. Gleichzeitig werden Tabak-Zigaretten und auch Wasserpfeifen immer noch deutlich häufiger genutzt als E- Zigaretten.“

Deutlich weniger Tote durch E-Zigarette

Es gibt nur wenige Studien zum Potenzial von E-Zigaretten zur Tabak-Entwöhnung. Eine aus Großbritannien von 2019 mit knapp 900 Teilnehmern, die entweder einer E-Zigaretten-Gruppe oder einer Nikotin-Ersatzprodukte-Gruppe zugewiesen wurden, zeigte auf, dass nach einem Jahr unter der Gruppe der E- Zigaretten-Nutzer fast 20 Prozent Tabak-abstinent waren, in der Nikotin-Ersatzprodukte-Gruppe aber nur zehn Prozent. Allerdings war es auch so, dass bei der E-Zigaretten-Gruppe das eine Produkt das andere ersetzte. „Aber da wir eben davon ausgehen können, dass E-Zigaretten deutlich weniger schädlich sind als herkömmliche Tabakprodukte, ist es sicherlich auch kein schlechtes Outcome, wenn dafür die Leute wenigstens losgekommen sind von der Tabak-Zigarette.“

Und Dr. Thomas Hering ergänzte: „Wenn es zutrifft, wie die englische Gesundheitsbehörde feststellte, dass die globale Gefährdung durch die E-Zigarette nur ein Zwanzigstel der Tabak-Zigarette beträgt, 95 zu fünf Prozent, und ich stelle mir jetzt eine Welt vor, in der nur E-Zigaretten konsumiert würden, dann habe ich statt 120.000 Toten pro Jahr 6000 Tote.“

Michael Freitag

Aus: EPPENDORFER 2/20