Anlässlich des Welttags der Suizidprävention und angesichts der Pandemie und der bevorstehenden Wahlen hat die Fachgesellschaft DGPPN* gefordert, psychische Gesundheit ganz oben auf die politische Agenda zu stellen. Ihrerseits kündigte sie eine neue S3-Leitlinie „Umgang mit Suizidalität” an, die just auf den Weg gebracht wurde. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe wies derweil auf die hohen Belastungen depressiv Erkrankter infolge der Pandemie hin und warnte vor einem möglichen Anstieg von Suiziden im Zuge der Neuregelung zum assistierten Suizid, eine „Normalisierung“ müsse vermieden werden.
„Zwischen 50 und 90 Prozent aller Suizide lassen sich auf eine psychische Erkrankung zurückführen“, heißt es in der Pressemitteilung der DGPPN. Abgesehen vom Suizidrisiko würden schwere psychischen Erkrankungen das Leben um bis zu zehn Jahre verkürzen. Die DGPPN fordert die Politik auch explizit dazu auf, eine trialogisch besetzte Expertenkommission mit Vertretern von Angehörigen, Betroffenen und Profis als wichtigen Baustein einer Gesundheitspolitik zu etablieren. Ferner wird ein evidenzbasiertes Berichtswesen gefordert, „das sowohl administrative als auch epidemiologische Daten enthält“: ,„Derzeit blicken wir auf ein großes Datenpuzzle, in dem einige Teile gänzlich fehlen. Dieses Manko ist in den letzten anderthalb Jahren während der Pandemie nochmals besonders deutlich zutage getreten.“ Neben einer neuen S3-Leitlinie „Umgang mit Suizidalität” , die sich an „alle Fachkräfte der ambulanten und stationären Versorgung, die mit suizidalen Menschen in Kontakt treten“ richtet, ist auch eine laienverständliche Leitlinie für Patienten in suizidalen Krisen geplant, die auch Angehörige und Hinterbliebene einbezieht.
Mehr Suizide während der Pandemie?
Im Februar 2021 gaben in einer bundesweit repräsentativen Erhebung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe 44 Prozent der Befragten mit diagnostizierter Depression an, dass sich Corona-bedingt ihre Erkrankung in den letzten sechs Monaten verschlechtert habe. Acht Prozent hatten Suizidgedanken oder suizidale Impulse entwickelt. Unter den Befragten mit Depression berichten sogar 13 Personen, im letzten halben Jahr einen Suizidversuch unternommen zu haben. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung würde das allein für diese Gruppe Betroffener circa 140.000 Suizidversuche innerhalb eines halben Jahres ergeben. Die Maßnahmen gegen Corona hätten zu Versorgungsdefiziten und spezifischen Belastungen für die 5,3 Millionen Menschen mit Depression in Deutschland geführt. Besonders die Zahl der Suizidversuche sei alarmierend.
„Normalisierung des Suizids vermeiden”
Mit Sorgen schaue die Stiftung Deutsche Depressionshilfe auch auf die gesetzliche Neuregelung zum assistierten Suizid. „Wird der assistierte Suizid zu einer offiziell geregelten Wahlmöglichkeit, so besteht das Risiko, dass hierdurch die bisher bestehende Schwelle für suizidales Verhalten gesenkt wird, und es zu einem Anstieg der Suizidraten kommt“, befürchtet Prof. Ulrich Hegerl, Psychiater und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. In den Niederlanden war im Zuge der Liberalisierung der Sterbehilfe nicht nur eine Zunahme bei den assistierten Suiziden zu beobachten, sondern auch der einsamen, nicht-assistierten Suizide – entgegen der positiven Entwicklung der Suizidraten in fast allen anderen europäischen Ländern. Bei der Neuregelung zum assistierten Suizid müsse deshalb eine „Normalisierung“ des Suizids vermieden werden, fordert Hegerl.
In Deutschland sterben jährlich ca. 9.300 Menschen durch Suizid – das sind mehr Menschen, als im Verkehr (ca. 3.300), durch Drogen (ca. 1.400) und durch AIDS (ca. 280) zu Tode kommen (Statistisches Bundesamt 2019). Die Zahl der Suizidversuche wird mehr als 20-mal so hoch eingeschätzt. Zwei von drei Suiziden werden von Männern verübt. Insbesondere ältere Männer über 70 Jahre haben ein drastisch erhöhtes Suizidrisiko. Suizidversuche werden hingegen am häufigsten von jungen Frauen verübt.
(rd)
- Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Zum gesamten DGPPN-Forderungskatalog zur Bundestagswahl