„Der Spieler“ hat Fjodor Dostojewski seine berühmte Geschichte um eine Gruppe von Menschen betitelt, die, kurz vor dem finanziellen Ruin stehend, im fiktiven Kurort Roulettenburg auf den Geldsegen einer umfangreichen Erbschaft wartet. Darin finden sich präzise Beschreibungen der Spielsucht, die Dostojewski aus eigener Erfahrung kannte. Die persönliche Suchtgeschichte des berühmten russische Autors hat der ehemalige Suchtchefarzt Dr. Bert Kellermann* in einem Buch ausführlich aufgearbeitet.
Er ist ein ganz großer der Weltliteratur – Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821 bis 1881), Schöpfer von „Schuld und Sühne“, „Die Brüder Karamasow“, „Der Idiot“, „Die Dämonen“. Und des Romans „Der Spieler“, der im fiktiven Kurort Roulettenburg auf amüsante Weise die Spielsucht thematisiert. Ein Meisterwerk, da Dostojewski wusste, worüber er 1866 schrieb: In Wiesbaden hatte er sich kurz zuvor beim Roulette ruiniert und musste seinem Verleger kurzfristig einen Roman vorlegen, dessen Vorschuss er zuvor bereits verspielt hatte. So beschloss er, seine eigene Pleite in Wiesbaden literarisch zu verarbeiten. Aus Zeitmangel musste er die Geschichte einer jungen Stenografin diktieren: Anna Grigorjewna Snitkina, die kurz darauf seine zweite Frau werden sollte. 1867 verließen beide wegen des Schuldendrucks Russland und begaben sich auf eine Westeuropareise, die vier Jahre dauern und für die junge Anna zum Albtraum werden sollte, denn Fjodor Dostojewski verfiel immer mehr der Spielsucht.
Der Anfang diesen Jahres verstorbene Dr. Bert Kellermann war Experte für Glücksspielsucht und hat mit „Der Spieler und seine Frau“ diesen vier Lebensjahren Dostojewskis und seinem Spielwahn ein ganzes Buch gewidmet. Wobei er sich selber auf kurze fachliche Kommentare beschränkt: Er lässt lieber die Quellen sprechen, hauptsächlich in Form der Tagebuchaufzeichnungen und Lebenserinnerungen von Anna und Briefen. Deutlich werden dabei die Qualen, die ein Angehöriger eines Glücksspielsüchtigen auszustehen hat und die Hoffnungslosigkeit, der er sich gegenübersieht.
Sechs Wochen jeden Tag Roulette in Baden-Baden
Im Sommer 1867 verbrachte das Ehepaar Dostojewski beinahe sechs Wochen in Baden-Baden. Annas Tagebuchaufzeichnungen aus diesen Tagen seien, so Kellermann, „ein erschütterndes Dokument, aus dem sich unmittelbar und eindringlich miterleben lässt, wie ein süchtig gewordener Mensch seiner Sucht total ausgeliefert ist und wie sehr seine Nächsten leiden, hier seine junge Frau“. Und so lässt Kellermann über 100 Seiten Anna vom trostlosen Aufenthalt in Baden-Baden berichten. Dostojewski, der von der fixen Idee besessen war, durch Spielgewinne seinen Schuldenberg abtragen zu können, ging jeden Tag zum Roulette – wie zur Arbeit. Von seiner Frau, die immerhin die Geldverwaltung hatte, forderte er ständig Taler und Gulden – um sie postwendend zu verspielen. War ihm das Glück ausnahmsweise mal hold, verlor er kurz darauf das Gewonnene. Immer wieder mussten sie in der Kurstadt Schmuck und Kleidung verpfänden, um Rechnungen begleichen zu können – doch Dostojewski spielte auch mit diesem Geld und verlor. An literarische Arbeit war nicht mehr zu denken, denn Dostojewski brauchte seine Kreativität für die Bettelbriefe, die er an Verwandte und Bekannte schrieb.
Es grenzt an ein Wunder, dass beide der Hölle Baden-Baden schließlich, mittellos, entfliehen konnten. Sie siedelten in die Schweiz über, wo er aber auch in Saxon spielte, später hatte er eine weitere Spielepisode in Homburg. In Wiesbaden erlebte er 1871 seinen letzten Absturz. Er schwor seiner Frau in einem verzweifelten Brief, nie wieder zu spielen – und sollte sich daran halten. Beide kehrten nach Russland zurück und wurden dank Dostojewskis Arbeit schuldenfrei.
Die Aufzeichnungen Dostojewskis und seiner Frau zur Spielsucht vermitteln, wenn auch teilweise ermüdend zu lesen, ein authentisches Bild vom Roulettespiel im 19. Jahrhundert. Die Casinos wurden übrigens 1872 in Deutschland geschlossen, man wusste schon, warum …
Bert Kellermann: „Der Spieler und seine Frau“, 326 Seiten, Books on Demand, 2016, ISBN 978-3-839112137.
(Michael Freitag in: EPPENDORFER 12 / 2016 & 1 / 2017)
Dr. Bert Kellermann ist Ende Januar im Alter von 87 Jahren verstorben. Er hatte die Suchtabteilungen im damaligen Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Ochsenzoll aufgebaut und blieb bis ins hohe Alter aktiv. Selbsthilfegruppen und deren Förderung waren ihm ein großes Anliegen, und „er widmete der Anerkennung und Behandlung von Glücksspielsucht und weiteren Verhaltenssüchten wie z.B. der Kaufsucht viel Zeit und Energie in seiner Arbeit“, würdigte ihn die Landesstelle für Suchtfragen Hamburg e.v. .