Die sogenannte Negativsymptomatik macht Angehörige hilflos. Der Film „Im Haus meiner Eltern“ dreht sich um diese Hilflosigkeit, aber auch um die Ohnmacht, die entsteht, wenn sich der schwer kranke Angehörige nicht behandeln lassen will. „Negative Symptome” wie Affekt- und Antriebsverarmung werden über schwarz-weiße-Bilder, eine enge und ebenso intime wie karge Atmosphäre und ein eher langatmiges Spiel eines hochkarätigen Schauspielerteams (Jenny Schily, Ursula Werner, Manfred Zapatka u.a.) in Szene gesetzt.
Schon der Anfang setzt einen düsteren Punkt: Eine Leiche, in Folie verpackt, wird abtransportiert. Im Rückblick wird gezeigt, wie sich die Schwester – ihr Name ist Holle, ihr Beruf spirituelle Psychotherapeutin, die sich der Energiearbeit verschrieben hat – mehr und mehr um den schizophrenen Bruder kümmert. Der lebt seit Jahrzehnten im Haus ihrer Eltern. In stiller Isolation: Er spricht nicht. Er existiert einfach nur. Im Film atmet er viel und laut.
Das stillschweigend akzeptierte (Un-) Gleichgewicht ist irgendwann nicht mehr haltbar
Als die Mutter ins Krankenhaus eingeliefert wird, wird Holle klar, dass das stillschweigend akzeptierte (Un-) Gleichgewicht nicht mehr lange haltbar sein wird. Zumal, als es zum Eklat, zur gewalttätigen Auseinandersetzung mit dem Vater kommt. Blut fließt. Zwangseinweisung. Die Zuschauer erfahren, es handelt sich um fortgeschrittene Schizophrenie mit Negativsymptomatik, die auf Medikamente, die der Bruder seit 20 Jahren verweigert, kaum anspricht. Als er entlassen wird, nimmt ihn Holle auf. Die Eltern werfen der Tochter vor, sich reingedrängt zu haben. Holle kann sich nicht abfinden und will helfen. „Aber wenn er sich entschieden hat, ist das so seine Entscheidung“, verteidigt die Mutter die Behandlungsverweigerung des Sohnes.
Der Film spiegelt Ohnmacht, Hilflosigkeit und bedrückende Ausweglosigkeit wider. Es handelt sich um einen Abschlussfilm für die Filmakademie Baden-Württemberg. Der Autor Tim Ellrich greift darin die eigene Familiengeschichte auf. Er selbst hatte einen schizophrenen Onkel, der im Haus seiner Großeltern wohnte. „Ich war mit dem Gefühl der Hilflosigkeit im Umgang mit ihm vertraut und wollte genau dieses Gefühl im Film vermitteln“, sagt er.
Autor des Films greift die eigene Familiengeschichte auf
Der Film ist Menschen wie ihm und Angehörigen psychisch kranker Menschen gewidmet. Ohne eine vereinfachte Lösung anzubieten, heißt es im Presseheft, möchte der Film „den komplexen Problemen Aufmerksamkeit schenken und eine Plattform schaffen, um darüber miteinander zu sprechen. Für mich bedeutet Kino genau das: Mit Fremden in einem dunklen Raum zu sitzen und zu erkennen, dass die Person auf der Leinwand einem selbst ähnlicher ist als man vermeintlich meint, und sich dadurch weniger allein zu fühlen“, so Tim Ellrich.
Das Drehbuch war dem echten Tod voraus: Als das Buch fast fertig war, starb der kranke Onkel des Autors. Was in dem kranken Mann vorgegangen sein mag, nahm er hier wie dort mit ins Grab.
Anke Hinrichs
„Im Haus meiner Eltern“, geplanter Filmstart: 10. April