Brückenbauerin
zwischen den Kulturen

Beraterin Shahnaz Ansari. Foto: Göttsche

Vor fünf Jahren machten die Mutter und ihr halbwüchsiger Sohn Sasan sich auf die Flucht nach Westen. Mit Hilfe von Schleppern erreichten sie Deutschland. „Die Lage in ihrer Heimat Iran war die Familie unerträglich geworden, der Vater saß aus politischen Gründen im Gefängnis“, erzählt Shahnaz Ansari. Die Heilpraktikerin Psychotherapie hilft Sasan Ghadiri (Name geändert, d.Red.), sich in Deutschland zurechtzufinden und psychisch gesund zu werden. „Die durch die häufige Abwesenheit des Vaters weitgehend schutzlose Kindheit, eine Mutter am Ende ihrer Kräfte, dann die schlimmen Erlebnisse auf der Flucht, schließlich die für ihn bis dahin völlig fremde neue Kultur: Sasan ist schwer traumatisiert“, sagt Shahnaz Ansari. „Seine Mutter ist selbst traumatisiert und wegen Depressionen in psychiatrischer Behandlung.“

Seit über einem Jahr kommt Sasan regelmäßig in den Billstedter Gesundheitskiosk, um mit Shahnaz Ansari zu sprechen. Sie ist eine von acht Gesundheitsberaterinnen – sie alle sind medizinisch ausgebildet und sprechen jeweils türkisch, Farsi/Dari, arabisch, russisch, polnisch, portugiesisch und englisch. „Wir sind darum auch Vermittler zwischen den kulturellen Sphären“, sagt Shahnaz Ansari. Kulturelles Verständnis sei der Schlüssel zur Integration. „Als gebürtige Iranerin, die seit 34 Jahren in Deutschland lebt, kann ich mit den Menschen aus dem nahöstlichen Raum auf Augenhöhe reden.“ Eines der ganz großen Probleme der meisten aus diesen Ländern Stammenden sei die tiefe Skepsis gegenüber dem Westen. „Sie werden von Kindesbeinen an indoktriniert und sehen den Westen als Feind, der an allem Übel in ihrer Heimat schuld ist. Darum können sie sich hier nicht der neuen Kultur gegenüber öffnen“.

Um die Klienten zu erreichen, nütze deutsche Sachlichkeit wenig …

Um die Klienten zu erreichen, nütze die deutsche Sachlichkeit herzlich wenig. „Diese Form von Sachlichkeit ist der nahöstlichen Kultur fremd“, so Shahnaz Ansari. Das gelte auch für den westlichen Individualitätsgedanken, der der nahöstlichen Kollektivtradition ebenfalls fremd sei. Shahnaz Ansari kommuniziert daher viel mit Bildern, Metaphern und Gleichnissen. Im nahöstlichen Gedankenkosmos bestehe das Leben nun mal aus einer unendlichen Reihe von Geschichten. „Nur wenn ich auf dieser Ebene mit ihnen kommuniziere, kann ich die Menschen erreichen. Ich kann versuchen, sie seelisch zu heilen und wieder das Licht in ihren Gedanken einschalten, damit sie hier wieder auf die Beine kommen, stabil werden und sich eine Identität aufbauen.“

Die Kraft der sprachlichen Bilder

Die Kraft der sprachlichen Bilder sieht Shahnaz Ansari als ihr wichtigstes Werkzeug. „Wenn man die Gedankenstrukturen dieser Menschen, deren Werte, Stärken und Schwächen nicht kennt, ist ein Herankommen vielfache unmöglich.“ Sie sitze sozusagen auf zwei Stühlen: „Ich kenne beide Kulturen gut und schaffe es auf diese Weise, eine Brücke zu bauen.“ Sobald die Menschen den kulturellen Kontext ihrer neuen Heimat verstünden, „können sie auch die westliche Form der Sachlichkeit akzeptieren“. Die kulturellen Unterschiede zeigen sich bereits bei der Verwendung einzelner Begriffe. „Mit dem Begriff Polizei assoziieren die meisten Deutschen Schutz und Sicherheit“, sagt Shahnaz Ansari. „Für Menschen aus Nahost ist ein Polizist gemeinhin ein schlimmer Feind, Inbegriff staatlicher Willkür.“

Darum würde Shahnaz Ansari es gut finden, wenn in Sprachkursen von vorherein auch das Grundgesetz als Lernmaterial verwendet würde. „Dadurch kann man zugleich viel über die Grundlagen der Demokratie lernen – man darf nicht vergessen, dass die Heimatländer dieser Menschen Diktaturen sind.“

Shahnaz Ansari sieht ihre Aufgabe nicht nur darin, Traumata aufzuarbeiten. „Genauso kommt es darauf an, sozial zu kommunizieren. Die Menschen müssen eine Identität in sich aufbauen, sonst bleibt jeder fremd.“ Sie arbeitet an einem Tag der Woche im Gesundheitskiosk. Durchschnittlich sechs bis sieben Klientinnen und Klienten suchen dann das Gespräch mit ihr. Die meisten kommen mit einer ärztlichen Überweisung, einige hörten in Clique oder Familie vom Kiosk.

Sasan schaut ungefähr alle drei Wochen vorbei. „Ich bin sehr froh, dass er zu uns gefunden hat, die Gespräche tun ihm sehr gut“, so Shahnaz Ansari. „Er will seinen Schulabschluss machen und dann eine Ausbildung beginnen – das könnte ihm gelingen.“ Michael Göttsche

(Einen weiteren Text über das bundesweit einmalige Gesundheitskiosk in Billstedt lesen Sie in der aktuellen Printausgabe 6/21, die sie unter info@eppendorfer.de als Probeexemplar anfordern können)