„Dramatische Fehlentwicklung”:
PSAG Bergedorf schlägt Alarm

Die Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft (PSAG) Bergedorf schlägt Alarm: Beklagt wird eine „besorgniserregende“ Unterversorgung und „dramatische Fehlentwicklung” im Bereich der fachärztlichen Versorgung psychisch erkrankter Menschen im Bezirk Bergedorf. Die PSAG ist ein seit ca. 35 Jahren bestehendes, regelmäßig tagendes Gremium, in welchem sich die im psychosozialen resp. sozialpsychiatrischen Feld tätigen Akteur*innen der Region zusammengeschlossen haben, um sich für die Verbesserung der Versorgung psychisch kranker Menschen in der Region einzusetzen. 

Bereits seit Jahren sei die Anzahl der niedergelassenen Fachärzt*innen für Psychiatrie im Bezirk Bergedorf rückläufig. Praxen, die aus Altersgründen geschlossen wurden, finden keine Nachfolge im Bezirk, „sondern der Praxissitz wird an einen anderen „mutmaßlich attraktiveren oder lukrativeren Standort verlegt“, so der PSAG-Sprecher*innenrat aus Barbarina Sasse (DRK), Jan-Christian Wendt-Ahlenstorf (Der Begleiter) und Stefan Hölscher (SpD Bergedorf)  in einer  Pressemitteilung. 

Zuletzt habe vor fünf Jahren die Entscheidung des Asklepios-Konzerns „für Aufsehen gesorgt, das Medizinische Versorgungszentrum Lohbrügge mitsamt seinen dort angestellten psychiatrischen Fachärzten aus Bergedorf abzuziehen und den Standort nach Harburg zu verlegen. Zahlreiche Proteste und Interventionen hätten damals jedoch „lediglich einen geringen zeitlichen Aufschub” der Umzugspläne erwirkt.

Zum Jahresende gab eine weitere Fachärztin auf

Zum Jahresende 2020 habe nun eine weitere niedergelassene Fachärztin aus Altersgründen ihre psychiatrisch-neurologische Praxis aufgegeben, ohne dass im Gegenzug eine psychiatrische Praxis in Bergedorf neueröffnet hätte; eine seitdem neu eröffnete Praxis verfüge „gerade nicht über psychiatrische, sondern ausschließlich über neurologische Kompetenz“, heißt es weiter.

Mithin verbleibe im Bezirk Bergedorf aktuell nur noch ein Praxisstandort mit drei praktizierenden Psychiater*innen zur ambulanten Versorgung– für den dynamisch wachsenden Bezirk mit seinen mittlerweile über 130.000 Bewohner*innen „offensichtlich indiskutabel wenig“, so die PSAG-Vertreter.

Die auch im Bezirk angesiedelte Psychiatrische Institutsambulanz (PIA) des Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf, die ebenfalls ambulant fachärztlich Patient*innen behandelt, dürfe in diesem Zusammenhang nicht auf gleicher Ebene der fachärztlichen „Grundversorgung“ psychisch kranker Menschen gezählt werden, denn der Versorgungsauftrag der PIA richte sich auf „ausgewiesen komplexe und (zeit-)intensive Behandlungsbedarfe, die über das reguläre ambulant-fachärztliche Angebot hinausgehen”.

Aufnahmestopps auch in Nachbarregionen

Als Folgen des Versorgungsmangels wird benannt: Mobilere Patient*innen suchen Praxen im Hamburger Umland oder in anderen Hamburger Bezirken auf. Dabei würden auch aus an Bergedorf angrenzenden Regionen teils Aufnahmestopps und lange Wartezeiten vermeldet. Die Patient*innen, die krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, längere Anfahrtswege auf sich zu nehmen, würden sich in der Not an Hausärzt*innen wenden,  um sich bspw. mit Psychopharmaka zu versorgen.  Aus fachlicher Sicht sei dies auf Dauer inakzeptabel. Fazit: „Viele Menschen mit psychiatrischem Behandlungsbedarf in Bergedorf bleiben mithin fachärztlich unversorgt oder müssen unvertretbar lange auf einen (Erst-)Termin warten.“

Das strukturelle Problem sei in Hamburg lange bekannt: „Hamburg wird vonseiten der Kassenärztlichen Vereinigung (KVH) als ein Versorgungsgebiet definiert. In ganz Hamburg besteht demzufolge Niederlassungsfreiheit. Dies hat unweigerlich einen Sog hin zu (vermeintlich) attraktiveren Standorten zur Folge, anders gesagt, einen Schwund (fach-)ärztlicher Nahversorgung in „unattraktiveren“ Stadtteilen bzw. Bezirken.“

Offenbar zähle Bergedorf seit einigen Jahren bei Psychiater*innen nicht zu den attraktiven Bezirken – im Gegensatz  zu Stadtteilen rund um die Alster, „wo bekanntlich auch mit den meisten Privatversicherten resp. Selbstzahler*innen ge- rechnet werden kann.“

Die PSAG Bergedorf hat mit entsprechenden Schreiben an die Hamburgische Bürgerschaft, an die Bezirksversammlung Bergedorf sowie an die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg  appelliert, dafür zu sorgen zu tragen, „dass der beschriebene eklatante Versorgungsmangel schnellstmöglich behoben wird.“ (rd)