Baby auf Entzug

Sind so kleine Hände – und werden schon akupunktiert, allerdings mit Laser statt mit Nadeln. Foto: W.Raith/Univ. Klinik für Kinder- u. Jugendheilkunde Graz

Drogengebrauch und Schwangerschaft ist statistisch gesehen in etwa so häufig wie Diabetes und Schwangerschaft. In Europa werden einer Schätzung von 2014 zufolge jedes Jahr 30.000 opiatabhängige Frauen schwanger *. Vor allem in den USA, das zur Zeit mit einer wachsenden „Opioid-Epidemie“ zu kämpfen hat, nimmt das Problem dramatisch zu. 60 bis 80 Prozent der Neugeborenen, deren Mütter Heroin oder Methadon bzw. Ersatzstoffe konsumieren, entwickeln nach der Geburt ein Entzugssyndrom. Wie sich dieses durch Akupunktur der Mütter und sogar der Babys reduzieren lässt, um die Startchancen zu verbessern, war Thema einer Fortbildungsveranstaltung im Altonaer Kinderkrankenhaus.

HAMBURG/GRAZ (hin). Kaum ein Thema in der Gynäkologenpraxis ist so von Angst, Scham und Hilflosigkeit besetzt wie die – oft ungewollte – Schwangerschaft von Opiatabhängigen Frauen. Bei Dr. Ralph Raben wurde 1988 in seiner Altonaer Frauenarztpraxis gleich in der ersten Woche seiner Niederlassung eine drogenabhängige Schwangere vorstellig. Bis heute ist der Vorsitzende der NADA* Deutsche Sektion e.V. auf der Suche nach innovativen Konzepten und nach Mitstreitern, die sich bereit erklären, diese schwierige Klientel durch die Schwangerschaften hindurch eng zu begleiten.

Auf eine solche Innovation stieß er jüngst in Person des Privatdozenten Wolfgang Raith aus Graz. Dieser hat für die Klinische Abteilung für Neonatologie der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Graz in Zusammenarbeit mit der dort ebenfalls ansässigen Forschungsgruppe für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) ein Konzept für den erfolgreichen Einsatz von Laserakupunktur bei Babys mit einem so genannten neonatalen Entzugssyndrom (NAS) entwickelt. Das Problem: Ein Entzug bzw. eine Verminderung der Suchtmittel während der Schwangerschaft ist schwierig, da es dadurch zu vorzeitigen Wehen bis hin zu Frühgeburten kommen kann. Ziel ist daher meist eine stabile Substitutionsbehandlung ohne Beikonsum.

Doch führt dies bei 60 bis 80 Prozent der Neugeborenen zu einem Entzugssyndrom, in der Regel 24 bis 72 Stunden nach der Geburt, in Einzelfällen Wochen später. Zu den Symptomen zählen z.B.: anhaltend schrilles Schreien, kurzer Schlaf, starkes Schwitzen, häufiges Gähnen, verstopfte Nase, Durchfall, Erbrechen. In Graz kommen laut Raith jedes Jahr nur circa zehn solcher Fälle auf die Welt.

Alarmierende Situation in den USA

Weltweit sei dies aber ein wachsendes Thema, eine Studienrecherche habe allein 2017 103 Manuskripte zu dem Thema ergeben, was der Grazer vor allem auf die alarmierende Situation in den USA zurückführt. Die optimale Therapie des an den Entzugssymptomen leidenden Neugeborenen wird immer wieder kontrovers diskutiert. Ein ganzheitlicher Therapieansatz ist selten, wird aber vermehrt nachgefragt. Zur Akupunkturbehandlung bei Babys gab es bisher nur vereinzelte Fallberichte. In Graz wurde erstmals eine Studie dazu durchgeführt. Der Entzug bei Babys wird durch Morphin unterstützt – gegebenenfalls (bei Politoxikomanie) – auch durch Barbiturate. An nichtpharmakologischen, ganzheitlichen Behandlungsformen bekannt sind z.B. Lavendelbäder sowie Licht-, Aroma- und Musiktherapie (wobei das Singen der Eltern in Kombination mit gehalten werden, besonders wirke).

Und in Graz setzt man auf Akupunktur. Das Setzen von Nadeln habe die Ethikkommission untersagt. Die Laser- akupunktur orientiere sich daran, dass der Hautwiderstand an bestimmten Akupunkturpunkten verändert sei, so Raith. Im Rahmen einer kleinen randomisierten Pilotstudie* wurden in Graz 20 Kinder täglich am Ohr nach dem NADA Protokoll sowie am Körper und an den Füßen akupunktiert. Ergebnis: Sie benötigten signifikant kürzere Zeit Morphin als Neugeborene mit NAS, nämlich 28,4 Tage gegenüber 38 Tagen ohne Laserakupunktur. Diese Babys seien zudem ruhiger und würden besser zunehmen.

Weitere Studien sind angesichts der geringen Fallzahl notwendig, so der Referent aus Österreich. Doch auch vor der Geburt könne Akupunktur auch dem Kind dienen, machte Dr. Ralph Raben deutlich: „Das Kind kann man nur über die Mutter schützen.“ Ziel sei dabei, die Risiken zu mindern. Immerhin habe die heute etablierte bessere Behandlung und Betreuung von Schwangeren dazu geführt, dass sich auch drei Jahre nach der Geburt im Schnitt noch zwei Drittel der Kinder in Obhut der Eltern befänden, früher sei das Verhältnis umgekehrt gewesen. Die Fehlbildungen in Folge von Substanzen (außer Benzodiazepine) würden überschätzt, seien nur bei Alkohol gesichert.

Als spezielle Risiken für die Kinder von Opiatabhängigen nannte er: Kindstod, Trennung von den Eltern und spätere Entwicklungsstörungen wie ADHS. Raben empfahl lösungsorientiertes Arbeiten mit sehr regelmäßigen Terminen. Vertrauensaufbau habe einen hohen Stellenwert, insbesondere mit Blick auf die häufigen Gewalterfahrungen und Traumabelastungen der Klientinnen. Er bietet abhängigen Schwangeren Akupunktur an vier Tagen die Woche, von Arzthelferinnen durchgeführt. Die Schwangeren selbst zeigten weniger vegetative Störungen und weniger depressive und Craving-Symptome. Einer kleinen Statistik zufolge sei es dann nur bei einem guten Drittel dieser Kinder auch zu einem Entzugssyndrom gekommen. *

„Behandlung substituierter Frauen während Schwangerschaft und Geburt“, Informationspapier der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen, www.bas-muenchen.de, Stand September 2014) *National Acupuncture Detoxification Association, www.nada-akupunktur.de * Studien siehe: DOI : 10.1016/ j .dza. 2014.0 .003 1 2 Dt. Z t s chr. f. Akupunktur 57, 3 / 2014 und: Laser Acupuncture for Neonatal Abstinence Syndrome: A Randomized Controlled Trial. Raith W, Schmölzer GM, Resch B, Reiterer F, Avian A, Koestenberger M, Urlesberger B. Pediatrics. 2015 Nov;136(5):876-84. doi: 10.1542/peds.2015-0676. http://pediatrics. aappublications.org/content/136/5/876.long)

 

FASD – Das gefährliche Alkoholsyndrom

HAMBURG/BERLIN (rd). Alkoholkonsum in der Schwangerschaft ist die häufigste Ursache für nicht genetisch bedingte, kindliche Fehlbildungen. Jedes Jahr kommen in Deutschland bis zu 10.000 Kinder mit der allein durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft verursachten unumkehrbaren Fetalen Alkoholspektrumstörung (FAS/FASD) auf die Welt. Mit gravierenden Folgen: Die Symptome reichen von intellektuellen Beeinträchtigungen, Wachstumsminderung und Verhaltensstörungen bis hin zu Herzfehlern.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler (CSU) rief anlässlich einer Fachtagung des Vereins FASD Deutschland in Hamburg erneut dazu auf, auf Alkohol in der Schwangerschaft komplett zu verzichten. Zudem veröffentlichte sie die aktualisierte Informationsbroschüre „Die fetale Alkoholspektrumstörung – Die wichtigsten Fragen der sozialrechtlichen Praxis“ (download unter www. drogenbeauftragte.de). Diese enthält auch Änderungen, die sich durch die Pflegestärkungsgesetze I und II, das Regelbedarf-Ermittlungsgesetz, die Reform der Kinder- und Jugendhilfe sowie durch das Bundesteilhabegesetz ergeben.

Eine weitere neue Publikation erörtert Möglichkeiten, Menschen mit Fetalen Alkohol Spektrumstörungen (FASD) im Rahmen der Sozialen Arbeit zu helfen. Beeinträchtigungen durch FAS würden noch immer häufig auch von Fachkräften verkannt, heißt in einer Mitteilung der Universität Cottbus-Senftenberg: „Sie haben geringere schulische und berufliche Perspektiven und schaffen es zu einem sehr hohen Prozentsatz nicht, eigenständig zu leben und ihren Lebensunterhalt selber zu verdienen. Einer Langzeitstudie zu Folge konnte nur die Hälfte der Erwachsenen mit FASD jemals länger als ein Jahr ein Arbeitsverhältnis halten. Viele werden aufgrund der eingeschränkten Handlungsplanung und Emotionsregulation wiederholt straffällig.“ In dem Buch „Mehrperspektivisches Arbeiten in der Kinder-und-Jugendhilfe: ‚Steven M.‘ – ein Junge mit FASD“* werden auf Grundlage eines konkreten Jugendhilfefalls Einblicke in das Krankheitsbild, die Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung, aber auch die Konflikte in Familie und Gesellschaft gegeben. Zugleich werden Vorschläge für mögliche Förder- und Lernangebote, persönliche und rechtliche Unterstützung und Therapien vermittelt. * Annemarie Jost, Jan V. Wirth (Hrsg.), Kohlhammer Verlag Stuttgart: 2017, 188 Seiten, 29 Euro.