Besser Wohnen
in Bremen

Christian, Ulrike, Klaus, Julien, Rosé, Siegfried, Thomas und Gaby im Hof ihres Blauhauses. Foto: Meyer-Schilf

In der Bremer Überseestadt hat der Verein Blaue Karawane seine Vision von inklusivem
Wohnen und Leben in ein Projekt umgesetzt – vom Start eines Traums in schwierigen Zeiten …

Von außen sieht es aus wie alles hier: Nüchtern, streng, eher Gated Community als Inklusionsprojekt. Die Bremer Überseestadt ist wie die Hamburger Hafencity ein Quartier, das – noch – nicht richtig funktioniert. Am Reißbrett entworfen, im alten Hafenviertel gebaut und dadurch etwas abgetrennt vom Rest der Stadt. Alles hier ist noch im Werden, Fußgänger sind wenige zu sehen, kleine Geschäfte, Cafés oder Kneipen gibt es kaum. Aber um das zu ändern, sind sie hier: 170 Bewohner zählt das Blauhaus inzwischen in zwei Gebäuden. Es gibt eine Kita, und mit der „Blauen Manege“ entsteht derzeit das Herzstück des Projekts: Eine Fläche für Gesellschaft, für Veranstaltungen, gemeinsame Mahlzeiten. Mit professioneller Küche, mit Holz- und Metallwerkstätten, mit einem Medienraum. 

Initiator ist der Verein „Blaue Karawane”

Initiiert hat das Blauhaus der Verein „Blaue Karawane“. Seit der Auflösung der Psychiatrie Blankenburg engagieren sich die Mitglieder gegen die Ausgrenzung von Menschen mit und ohne Psychiatrieerfahrung und für ihre gleichberechtigte Teilhabe an gesellschaftlichen Entwicklungen, bieten Raum für kreative Entfaltung und haben sich hier – nach 13 Jahren der Planung – endlich ihren Herzenswunsch erfüllt. Ein Haus, in dem Menschen mit Hilfebedarf, solche mit wenig Geld und Menschen, die medizinisch und finanziell unabhängig sind, gemeinsam miteinander leben. Der Plan für das Blauhaus entstand im Jahr 2007 auf einer DIN-A-4-Seite. Richtig Schub bekam das Projekt, als sich 2012 die Wohnungsgesellschaft Gewoba entschloss, mit einzusteigen. Sie baute das Blauhaus, die Mieter schließen ihre Verträge direkt mit der Gewoba. 84 Wohnungen gibt es hier, vom kleinen 30-Quadratmeter-Appartment bis zur betreuten WG für Menschen mit komplexem Hilfebedarf. Auch der Martinsclub ist an Bord, er betreut außerdem eine Demenz-WG mit acht BewohnerInnen im Haus und ist rund um die Uhr vor Ort. 

Ortstermin: Man spürt den Stolz der Bewohner

Zum Ortstermin auf der Baustelle der Blauen Manege haben sich einige Bewohner und Klaus Pramann vom Verein Blaue Karawane eingefunden. Die Tische – wegen Corona in ausreichendem Sicherheitsabstand aufgestellt – biegen sich unter Platten mit Keksen, Kaffee und Tee. Die Stimmung ist ausgelassen, man spürt den Stolz der Bewohner auf ihr besonderes Projekt. Fast jeder hat einen anderen Grund, warum er hier ist. „Wir haben in Delmenhorst gewohnt, aber ich wollte schon immer in die Überseestadt ziehen“, erzählt etwa Ulrike. Ihr Sohn Julien benötigt Betreuung, und als sie die Möglichkeit hatte, hier einzuziehen, ging ein alter Traum in Erfüllung. Thomas hat vorher im Viertel gewohnt; ihm gefiel das quirlige alternative Quartier nahe der Innenstadt, aber ihn störte die Anonymität. Außerdem konnte er sich dort nur eine sehr kleine Wohnung leisten, hier hat er mit 44 Quadratmetern 10 Quadratmeter mehr – und die Gemeinschaft. Die Auswahl der Mieter trifft ein Gremium der Blauen Karawane, die Vermietung selbst läuft über die Gewoba. Die Mieter haben ihre Verträge direkt mit der Wohnungsbaugesellschaft, denn eines ist den Initiatoren ganz besonders wichtig: „Das Wohnen hier soll nicht von Betreuung geprägt sein, sondern von Nachbarschaftlichkeit“, sagt Klaus Pramann. Kurz: „Zusammen wohnen und was machen.“ 

„Zusammen wohnen und was machen.“ 

Wie das funktionieren kann, hat Gaby in einer ihrer ersten Wochen im Blauhaus erfahren: „Wir hatten gerade im Innenhof kleine Sträucher gepflanzt, als ich vom Balkon aus sah, dass im Sturm ein Bauzaun auf die noch junge Hecke gefallen war.“ Sie schrieb in die Bewohner-WhatsApp-Gruppe, ob jemand helfen könne, den Zaun zur Seite zu schaffen. In wenigen Minuten kamen sechs BewohnerInnen und halfen Gaby mit dem Zaun. „Da kriege ich jetzt noch Gänsehaut, wenn ich das erzähle“, sagt sie. „Das ist Blauhaus!“


Obwohl der Einzug für sie zunächst mit einer Enttäuschung begann: Die Blaue Manege sollte eigentlich schon viel früher fertig sein. Doch dann kam Corona, und der Bau verzögerte sich weiter. „Und ich hatte gedacht: Dann ziehst du hier ein, gehst zum Essen immer runter, hast Gesellschaft“ – wichtig für sie, die mit Depressionen und Panikattacken kämpft und sich auch deshalb für den Einzug ins Blauhaus entschieden hatte. Doch damit war es nun erstmal nichts, und für Gaby brach fast die Welt zusammen. Für Ulrike wiederum erwies sich die Zeit des Lockdowns im Blauhaus als Glücksfall: „Normalerweise geht Julien tagsüber zur AWO, aber das konnte wegen Corona nicht stattfinden und ich musste mich tagsüber um ihn kümmern.“ Da war es ein Segen, dass Nachbarn regelmäßig vorbeikamen, um zu fragen, ob sie ihr etwas vom Supermarkt oder aus der Stadt mitbringen könnten. 


Die Blaue Manege ist inzwischen auf der Zielgeraden, der Rohbau steht, den Innenausbau muss der Verein selbst bewerkstelligen. Einen Vorgeschmack darauf, wie Verein und Bewohner künftig in den Stadtteil hineinwirken, ein Anziehungspunkt werden wollen, gibt es jetzt schon: Jeden Sonntag gibt es mittags im Innenhof ein Konzert. Initiiert hatten das während der Zeit des Lockdowns zwei Bewohner, die zunächst Freunde gefragt hatten, ob die nicht mal vorbeikommen und musizieren wollten. „Anfangs standen wir alle auf unseren Balkonen und haben zugehört, jetzt gehen wir in den Garten“, sagt Gaby. Auch die angrenzenden Nachbarn hören inzwischen zu. Die Künstler wechseln, jeden Sonntag gibt es ein anderes Programm, immer eine Stunde lang. „Wenn das so weiter geht“, sagt Thomas, „kommt hier am Ende noch Suzi Quatro“. Karolina Meyer-Schilf (Erstveröffentlichung in der EPPENDORFER-Printausgabe 5/20)