Ein Thema, aktueller denn je, verschiedene Perspektiven, gerahmt von Barockmusik: „Wir haben getan, was wir konnten“ heißt die „medizinisch-theatrale Recherche über Leben und Tod im deutschen Gesundheitswesen“, mit der der Arzt und Theatermacher Tuğsal Moğul seine (Insider-)Kritik an neoliberaler, effizienzgetrimmter, ökonomisierter deutscher Gesundheitspolitik auf die Bühne des Malersaals im Hamburger Schauspielhaus brachte.
Zum Einstieg geht’s auf die Intensivstation. Der Ton: eher ruppig. Eine 50jährige Kettenraucherin ist „das Gefäßwrack“: „Ist sie immer noch nicht weg?“ Früher war es besser, lernt der Zuschauer schnell, da aß man noch zusammen, heute kommt der Intensivmediziner nicht mal nachts zur Ruhe. Da kann einiges passieren …
Den roten Faden der Inszenierung bilden drei Kriminalfälle aus jüngerer Zeit. Da ist der Pfleger, der von der Macht schwärmt, über Leben und Tod zu entscheiden: „Das Gefühl, den Tod zu besiegen, hat mich angefixt“, schwärmt er dem Publikum vor. Unschwer zu erkennen: Es geht um Niels Högel, „größter Serienmörder der Nachkriegsgeschichte“, der Patienten lebensbedrohliche Medikamente spitzte, um sie danach zu reanimieren, viele starben, für 85 Taten wurde er schuldig gesprochen. Opfer sind nicht nur die Toten: auch eine Angehörige kommt zu Wort, die zwölf Jahre um Aufklärung kämpfen musste, so ihr Text, im Ergebnis sei sie so schwer an Depressionen erkrankt, dass sie ein halbes Jahr in die Klink und den Beruf aufgeben musste. Auch „Todesengel“ Irene Becker – eine Intensivschwester – kommt vor, ihr wurden fünf Patientenmorde zur Last gelegt. Im Malersaal spricht „sie“ nicht von Mord, sondern von „Lebenszeitverkürzung“.
Im Begleitheft zum Stück wird aus dem Buch „Tatort Krankenhaus“ von Prof. Karl H. Beine zitiert. Darin hatte der ehemalige Hammer Psychiatrie-Chefarzt und Experte für Patiententötungen letztere mit der Systemfrage verknüpft: Tötungsserien, wie in Oldenburg und Delmenhorst geschehen (Högel), müssten auch in Zusammenhang mit Strukturen gestellt werden, die Tötungen begünstigen würden.
Als dritter Fall kommt schließlich noch der Apotheker zu Wort, der für einen der größten Medizinskandale verantwortlich ist: Er hatte sein luxuriöses Leben durch Betrug mit Krebsmedikamenten finanziert, in dem er sie zu niedrig dosierte.
Bleibt am Ende der Hippokratische Eid auf der Strecke? Das befürchtet der deutsch-türkische Autor, der in Münster lebt und auch als Anästhesist und Palliativmediziner arbeitet. Seit 22 Jahren ist er im Krankenhaus tätig. Die Medizin sei mehr zu einem Dienstleistungsunternehmen geworden. Sein Doppelleben als Arzt und Autor erklärt er als Reaktion auf diese Entwicklung: „Ich habe mich als Arzt oft insuffizient gefühlt – der Zeitdruck, die Überforderung … Das fühlt sich nicht gut an .. so am Rande seiner Kapazitäten zu sein, mit fast leeren Batterien. Ich habe selber die Konsequenz gezogen und meine Stelle halbiert. Viele wechseln die Klinik oder suchen sich eine neue Arbeitsstelle. Ich mache Theater.“ (hin)
„Wir haben getan, was wir konnten“, Uraufführung: 12/9/2020 im MalerSaal, Es spielen: Yorck Dippe, Ute Hannig, Christoph Jöde Musikerinnen (Cembalo): Tobias Schwencke Musikerinnen (Geige Bratsche): Swantje Tessmann Musiker*innen (Kontrabass): John Eckhardt, nächste Termine: 4., 5.,6. Oktober (alle ausverkauft), weitere Nachfolgetermine unter: www.schauspielhaus.deermine unter: www.schauspielhaus.de