Ganz normal abtauchen

Eine Stiftung will Schwimmlehrer speziell schulen. Symbolfoto: pixabay

Auch Kinder mit Behinderung sollen sicher im Wasser planschen können, sagt der Nürnberger Schwimmlehrer Alexander Gallitz. In seinen Kursen will er ihnen die Angst vor dem Wasser nehmen. Bei Marcel und Jonas hat das schon ganz gut geklappt. Eine Stiftung will Schwimmlehrer für diese Anforderungen speziell sensibilisieren.

„Hey, ich bin der Überflieger”, quietscht Jonas und taucht ab. „Mensch, du hast in den Ferien doch heimlich geübt”, ruft ihm Schwimmlehrer Alexander Gallitz hinterher. Zusammen mit Miguel und Marcel und Schwimmtrainerin Katharina Roth tobt Jonas im Langwasserbad in Nürnberg. Blubbern, platschen, kreischen. Die drei Jungs, sieben, acht und neun Jahre alt, leben mit einer Beeinträchtigung – und fühlen sich offensichtlich sehr wohl im Wasser. 

Marcels Oma Helga Päge steht lachend am Beckenrand. Noch vor zwei Jahren war diese Szene undenkbar, sagt sie: „Marcel hatte panische Angst vor dem Wasser. Er wollte noch nicht einmal in die Badewanne.” Noch heute schlottern ihr die Knie, wenn sie daran denkt, was ihrem Enkel zuvor passiert war. 

„Es war Winter, und er war in der Reha. Seine Gruppe machte einen Spaziergang, und da ist Marcel in einen Bach eingebrochen und konnte sich alleine nicht mehr retten. Er wäre fast ertrunken. Zum Glück haben ihn die anderen Kinder herausgezogen”, erzählt Päge. „Ich war total geschockt.” 

Ab da stand für Helga Päge fest: Marcel und sein Bruder Jonas müssen unbedingt schwimmen lernen. Sie hörte sich um und war enttäuscht: Spezielle Schwimmkurse für Kinder mit Behinderung gab es nicht, und ein „normaler” Schwimmkurs kam für sie nicht infrage. „Die Schwimmlehrer sind nicht dafür ausgebildet, sich auf die besonderen Bedürfnisse der Kinder einzulassen”, sagt sie. Über private Kontakte lernte sie dann Schwimmlehrer Alexander Gallitz kennen. Und der hatte bereits erste Erfahrungen mit besonderen Kindern gesammelt. 

Gerade übt er mit den drei Jungs, wie ein Seeadler schreit und wie ein Krokodil übers Wasser gleitet. “Äh, wie macht denn eigentlich ein Krokodil? Machen die überhaupt auch Geräusche?”, prustet er und schon kommt ihm die nächste Idee: Kopf ins Wasser und Popo hoch und treiben wie eine Qualle. Das war nötig, denn Marcels Aufmerksamkeit ließ gerade nach. „Mir ist es wichtig, dass alle schwimmen können, egal ob das ein Flüchtling ist oder ein behinderter Mensch oder ein 80- Jähriger”, erklärt Gallitz seine Motivation. 

Ein Erfolgsrezept gibt es nicht …

Deshalb habe er für sich entschieden, seine eigenen anfänglichen Berührungsängste zu überwinden und sich auf Marcel und die anderen einzulassen: “Das ist eine ganz andere Welt.” Bisher sei bei seinem Schwimmunterricht immer ganz viel über den Kopf gelaufen, sagt er. “Bei Menschen mit Behinderung geht’s eigentlich nur über das Gefühl.” 

Das hat der Schwimmlehrer Schritt für Schritt herausgefunden – und auch, dass es das eine Erfolgsrezept nicht gibt. „Bei Marcel musste ich Vertrauen aufbauen, damit er seine Angst überwindet. Das geht nur in einer Eins-zu-eins-Situation, was schwierig ist einem gemischten, inklusiven Kurs. Aber jetzt geht er ab wie Schnitzel”, freut sich Gallitz mit Blick auf Marcels Spaß im Wasser. Der blubbert gerade lustig vor sich hin. 

„Ganz, ganz toll”, lobt Gallitz, „Blubbern ist die Vorstufe von Tauchen, und übers Tauchen lernen alle das Schwimmen”, erklärt er. Seit 30 Jahren gibt er Schwimmkurse. Und diese Erfahrung will er jetzt mit Heilpädagogen teilen und gleichzeitig Schwimmlehrer-Kollegen erklären, worauf es bei Kindern mit Beeinträchtigung ankommt. 

Deshalb hat er die Stiftung „Deutschland schwimmt” gegründet: „Wir wollen 100 Schwimmlehrer so ausbilden, dass sie genau wissen, wie sie mit geistig Behinderten, wie sie mit körperlich Behinderten, wie sie mit Schwerstbehinderten oder wie sie mit Autisten arbeiten können.” Im September wurde das Projekt mit dem Integrationspreis des Bezirks Mittelfranken ausgezeichnet. 

An zwei Wochenenden sind 40 Stunden Theorie für die Schwimmlehrer geplant. 20 Plätze gibt es beim ersten Kurs, im nächsten Frühjahr soll es losgehen. Dabei geht es nicht darum, am Ende Super-Schwimmer zu haben: Ziel der Stiftung ist es nach eigenen Angaben, in erster Linie Kinder mit Beeinträchtigungen so zu fördern, dass sie den Bewegungsraum Wasser erleben und sich dabei eine Wassersicherheit erarbeiten können.

„Learning bei doing” im Workshop

Die Praxis vermittelt Gallitz schon jetzt in Workshops. Leistungsschwimmerin und Vereinstrainerin Katharina Roth hat sich herangewagt. „Ich wusste nicht, was mich erwartet, und war wirklich ein bisschen nervös vor dem ersten Mal”, sagt die junge Frau. Das war im Mai. Jetzt springt sie mit Gallitz und den drei Kindern ins Becken. „Mit dem Popo zuerst ins Wasser. Auf geht’s”, ruft sie den Jungs zu. 

Und platsch, springt ihr Miguel hinterher. „Wenn man im Wasser ist, macht das viel Spaß, und es ist so lustig, mit den Kindern zu spielen und nicht nur am Rand zu stehen und Anweisungen zu geben”, sagt Roth. „Man ist wirklich mittendrin und taucht mit und blubbert.” Ein echtes learning by doing sei der Workshop, sagt Roth: „Viele Ideen kommen auch von den Kindern selbst, und dann ist es wichtig, darauf sofort einzugehen.” 

Zwei weitere junge Frauen hat Schwimmlehrer Gallitz bereits mit seiner Begeisterung angesteckt und in einem Workshop ausgebildet. “Das klingt jetzt wie ein Klischee”, sagt er, “aber man bekommt von diesen Kindern so viel mehr zurück.” ( Annette Link/epd)

Weitere Infos unter: www.deutschlandschwimmt.com