Es ist eines der spannendsten Themen der Psychopharmakologie, eines, das Aufbruchstimmung erzeugt. Gemeint ist Ketamin, das, wenn es anschlägt, quasi sofort gegen Depressionen zu wirken beginnt, und das teils auch dort, wo alles andere versagt. Anfang März bekam der Hype einen neuen Auftrieb, als in den USA das Ketamin-Nasenspray Esketamin – Spiegelbildversion des Ketamins – zugelassen wurde.
Es ist ein schillernder Stoff: Narkosemittel, Partydroge („Special K“ genannt) und Antidepressivum – gefeiert als das erste innovative Mittel gegen Depressionen seit 30 Jahren, das auf den Markt kommt. Bald vielleicht auch in Europa. Pharmahersteller Johnson & Johnson hat im Oktober die Zulassung bei der zuständigen Behörde beantragt.
Ketamin wurde 1962 von dem US-Pharmazeuten Calvin Stevens erfunden und wird als Narkosemittel seit seiner Zulassung 1970 gern in der Notfallmedizin angewendet, denn es ist das einzige Narkosemittel, das das Bewusstsein ausschalten kann, ohne die Atmung zu unterbrechen. Ende der 1990er Jahre entdeckte John Krystal von der Yale University in New Haven beim Behandlungsversuch von Schizophrenie-Patienten zufällig, dass sich ihre depressiven Symptome besserten, wenn er ihnen geringe Mengen von Ketamin spritzte.
Laut Studien reagieren rund 70 Prozent der Probanden schon ab 40 Minuten nach Injektion mit Besserung, was insbesondere bei Suizidalität bedeutsam ist. Bis zu einer Wirkung von gängigen Antidepressiva dauert es Wochen. Die Ketaminwirkung hält aber nur maximal zehn Tage an, wird berichtet. Die aktuelle Studienlage zu „Ketamin in der Behandlung affektiver Störungen“ inklusive Erfahrungen aus der Praxis arbeitet ausführlichst auch ein aktueller Beitrag in der Zeitschrift: InFo Neurologie & Psychiatrie (Ausgabe 5/2019) auf.
Ketamin wird auch in Deutschland eingesetzt, off-label, also außerhalb des durch die Arzneimittelbehörden zugelassenen Gebrauchs. Angeboten wird die Behandlung außer an Universitätspsychiatrien auch in einzelnen Kliniken und Praxen. Im Internet werden von Anbietern Erstanwendungen beschrieben wie: eine Serie von sechs Infusionen (1.-3. Infusion in Woche 1 und 4.-6. Infusion in Woche 2). Später kann eine Erhaltungstherapie mit deutlich größeren Abständen folgen. Beim DGPPN-Kongress nannte eine Praktikerin den Fall einer wirksamen, bisher fünfjährigen Langzeitbehandlung.
Die Krankenkassen zahlen bis auf ein paar private nicht. Die Kosten werden mit rund 200 Euro pro Behandlung angegeben. Warum Ketamin so schnell wirkt, ist noch unklar. Es blockiert die Glutamat-Rezeptoren. Es gibt aber wohl noch weitere Prozesse. Vermutlich steht am Ende die Bildung von neuen Nervenverbindungen. Nebenwirkungen sind vor allem Blutdruckanstieg und Schwindel, weshalb intensiv überwacht werden muss. Ferner werden teils dissoziative Phänomene und Halluzinationen beschrieben. Als Kontraindikation genannt wurden beim DGPPN-Symposium u.a.: Herzerkrankungen, Hirndruck, Bluthochdruck, Abhängigkeitserkrankungen, PTBS. Als schwierig bewertet wurden an anderer Stelle das fehlende Wissen über die Auswirkungen von Langzeitanwendung sowie das Missbrauchs- und Suchtpotenzial. (hin)