Es ist ein Teufelskreis: Lange Arbeitslosigkeit macht krank, vor allem psychisch krank. Psychische Erkrankungen erschweren wiederum den Weg zurück ins Berufsleben. Die Depressionshilfe fordert deshalb psychiatrische Angebote direkt aus dem Jobcenter.
Nicht ohne Grund sind in Deutschland Hunderttausende Menschen langzeitarbeitslos. Oft fehlt es nicht nur an passenden Qualifikationen, sondern die Betroffenen sind krank. Nach Angaben der Stiftung Deutsche Depressionshilfe sind psychische Erkrankungen bei Langzeitarbeitslosen das „größte Vermittlungshemmnis”. Das belegt auch eine Studie der Universität Leipzig, wonach zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen psychische Probleme haben. Abhilfe könnte den Experten zufolge ein „psychosoziales Coaching” schaffen, bei dem Hartz IV-Bezieher bereits in den Jobcentern beraten und psychiatrisch untersucht werden.
Dass Arbeitslosigkeit die Menschen bis tief in ihre Psyche hinein trifft, weiß man spätestens seit der berühmten Studie über die „Arbeitslosen von Marienthal” bei Wien aus dem Jahre 1933. Schon damals wurde nachgewiesen, dass die hoffnungslose Situation der Betroffenen zu Resignation und einem anderen, langsameren Zeiterleben führte.
Heute geht die Forschung davon aus, dass Arbeitslosigkeit zu einer Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes führt – die sogenannte Kausalitätshypothese. Folge sind Gefühle depressiver Verstimmung, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit.
Demgegenüber thematisiert die Selektionshypothese, dass Personen mit psychischen Problemen häufiger arbeitslos werden. Diesem Ansatz folgt die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Sie sieht unbehandelte psychische Erkrankungen als größtes Hemmnis, Personen, die länger aus dem Job sind, zu vermitteln: ein Problem, das bisher kaum angegangen worden sei.
„Gründe dafür sind Unsicherheiten bei dem Thema und die voreilige Annahme, dass die psychischen Erkrankungen Folge der langen Arbeitslosigkeit sind”, erläutert Ulrich Hegerl, Professor an der Universität Leipzig und Vorstandsvorsitzender der Stiftung. Oft lägen die Verhältnisse aber andersherum: Depression und andere psychische Erkrankungen führten zur Arbeitslosigkeit und erschwerten den Weg zurück ins Berufsleben.
Laut einer Studie der Universität Leipzig aus dem Jahr 2015 sind zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen psychisch krank. Bei dem von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe favorisierten „psychosozialen Coaching” sollen die Mitarbeiter des Jobcenters zunächst darauf geschult werden, Hinweise auf psychische Erkrankungen zu erkennen.
Den Betroffenen soll dann eine freiwillige Teilnahme am Coaching angeboten werden, das in den Räumen des Jobcenters stattfindet. Psychologen oder Psychiater erstellen dabei eine Diagnose und unterstützen die Arbeitslosen dabei, in die richtige therapeutische Behandlung zu kommen.
Eine derartiges Angebot gibt es schon seit dem Jahr 2007 am Jobcenter Essen. „Support25″ nennt sich hier die Beratung zur seelischen Gesundheit für Hartz-IV-Bezieher unter 25 Jahren. Pro Jahr werde bei 300 Jugendlichen ein Bedarf an therapeutischer Behandlung festgestellt, heißt es. Diagnostiziert werden Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen.
Das Jobcenter geht laut Abteilungsleiter Thomas Mikoteit davon aus, dass knapp acht Prozent der Jugendlichen im Hartz-IV-Bezug psychisch krank sind. Je nach Diagnose wird ihnen stationäre Behandlung oder ambulante Therapie angeboten, die Teilnahme ist freiwillig. Das Jobcenter sieht durch die Kombination von psychiatrischer Beratung/Behandlung und Arbeitsvermittlung die Reintegrationswahrscheinlichkeit erhöht.
Angebote zur seelischen Gesundheit gibt es auch für Langzeitarbeitslose über 50 („Tandem”). Insgesamt geht das Jobcenter Essen davon aus, dass mehr als ein Drittel der dortigen 87.000 Personen im Hartz-IV-Bezug psychisch instabil sind. Damit, sagt Mikoteit, sei „das Thema Arbeitslosigkeit und Gesundheit” im Alltag des Jobcenters längst angekommen und kein Randthema mehr. Im Gegenteil: Im Jobcenter Essen werde vielmehr in den vergangenen Jahren „eine anhaltende Ausweitung der Fallzahlen von psychiatrisch” Auffälligen registriert. (epd)