Schizophrenie
und Liebe

Wenn der Himmel voller bunter Luftballons hängt ... Symbolfoto: pixabay

Gefühle von Verliebtheit, von Beziehungsaufnahme und -Verlust können Psychosen auslösen bzw. befördern. Haben es schon viele Menschen ohne psychische Probleme schwer, eine gelungene Liebesbeziehung zu führen, stellt dies für Menschen mit Psychosen eine weit größere Herausforderung dar, die ihre ganze Identität bedrohen kann.  

Die Lehramtsstudentin stand kurz vor dem Berufsabschluss, als ihre Kindheit sie einholte. Frau H. war ein Adoptivkind, was die Mutter anfangs versuchte zu verschleiern. Vor allem nach der Scheidung der Eltern, nach der die Beziehung zum Vater nicht konstant aufrecht erhalten wurde, fühlte sie sich in mehrerer Hinsicht nicht gewollt. Während des Referendariats, das sie als sehr anstrengend erlebte, kam es zur Trennung von ihrem Freund. Da entwickelte sie die Vorstellung, dass sich bestimmte Kollegen an der Schule in sie verliebt hätten. „Sie hat sich künstlich Verhältnisse geschaffen, die das Gegenteil von dem darstellten, was sie erleiden musste“, so Dr. med. Hans Schultze-Jena. Mit fatalen Folgen. Der Liebeswahn brachte ihr Ärger mit Kollegen. Eines Tages fühlte sich die junge Frau Gott nahe und auserkoren. Bis dies nach einiger Zeit umschlug in das Gefühl, vom Teufel besessen zu sein, sie wurde aggressiv – und in eine Klinik gebracht.


„Schizophrenie und Liebe“ lautete das Thema eines Workshops bei den Psychodynamischen Tagen Langeoog von Dr. Hans Schultze-Jena und Dr. phil. Dipl.-Psych. Karsten Schützmann, leitender Psychologe der Klinik für Akutpsychiatrie & Psychosen der Asklepios Klinik Nord Ochsenzoll. Im Kern ging es dabei um die Crux, dass sich gerade in Liebesbeziehungen, in denen Menschen eine beglückende Wiederholung der primären (Mutter-) Liebeserfahrung suchen, auch die Störungen dieser ersten, so prägenden Lebensphase wiederholen. Zugleich leben Beziehungen von Entwicklung, was Wandel voraussetzt. Auch dies kann auf Menschen mit Psychosen bedrohlich wirken. Beides: Wandel und Reaktivierung alter Beziehungsstörungen kann dann in psychotische Symptome münden.

Große Nähe ist für das Ich von Psychosepatienten bedrohlich

Hintergrund: Große Nähe ist für das Ich von Psychosepatienten bedrohlich. Weil viele nicht so gute Beziehungserfahrungen verinnerlicht haben, geraten sie leicht in Panik und gehen in Distanz. Dahinter steht die Angst vor Auflösung und Selbstverlust. Denn: Bei einigermaßen geglückter Sozialisation entstehen positive und stabile innere Objekte. Das meint im Inneren der eigenen Person erfahrene, richtungsgebende Modelle (Repräsentanzen) von Beziehungen zu Vater, Mutter oder auch Freunden, die in Krisen begleiten und Halt geben können. Dahinter stehen Erfahrungen wie, dass man Konflikte haben kann, ohne dass z.B. die Mutter zusammenbricht oder der Vater sadistisch wird. Wer sehr früh andere Erfahrungen macht, dem fehlen diese Objekte bzw. Beziehungserfahrungen. Folge ist eine brüchige Ich-Struktur. Zumeist als Folge von frühkindlichen Beziehungsstörungen haben Menschen mit Psychosen Probleme, ihr Selbst zu organisieren. Sie können oft nicht zwischen innerer und äußerer Welt (inneren und äußeren Objekten) unterscheiden, was zu existenziellen Ängsten führen kann.

Oft Traumata im Hintergrund


Inzwischen ist bewiesen, dass bei Psychosen „in extrem hohem Maß“ Traumata im Hintergrund stehen, macht Schultze-Jena deutlich, insbesondere körperliche und/oder sexuelle Gewalt oder auch Mobbing. „Schätzungen zufolge haben ca. 20 Prozent aller klinischen Psychosepatienten Traumavorerfahrung, so der Psychiater und Psychoanalytiker. Teils entwickeln diese Menschen dann zusätzlich zur Psychose auch noch PTBS-Symptome. Doch auch ohne frühklindliche Trauma-Erfahrung kann es – kumulativ, also sich anhäufend – zu Mangelerfahrungen kommen, die sich nachteilig auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken.


„Es gibt weniger Patienten mit Psychosen, die langfristig stabile Beziehungen halten, als Menschen mit einer neurotischen Erkrankung“, so Schultze-Jena. Viele Patienten leben bei den Eltern, alleine oder in psychiatrischen Wohngemeinschaften, vergleichsweise wenige in einer fixen Partnerschaft. Viele Patienten seien, was Beziehungen angeht, frustriert, zögen sich zurück, so Schultze-Jena. Das Gegenteil von dem was hilfreich sei. Er empfiehlt schizophrenen Patienten: An sozialen Begegnungen und an Arbeit festzuhalten, das Gespräch zu suchen und Psychotherapie in Anspruch nehmen.

Schwere Krisen oft im Zusammenhang mit Beziehungsabbbrüchen

Auch der Psychologe Dr. Karsten Schützmann, der in der Klinik häufig erlebt, dass schwierigste Krisen in Zusammenhang mit Beziehungsabbrüchen stehen, rät zu Akzeptanz statt zu Vermeidung oder Übervorsichtigkeit: „Es gibt kein Rezept, das gehört zum Leben dazu“, sagt er. Menschen mit Psychoseerfahrung rät er allerdings, in emotional besonders herausfordernden Zeiten zu vermehrter Aufmerksamkeit sich selbst gegenüber. „Sie sollten darauf achten, ob etwas wieder auftaucht, was sie aus früheren Krankeitsphasen kennen.“
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Und worum würde es im Fall der Therapie der oben beschriebenen Lehramtsstudentin vor allem gehen? In so einem Fall gelte es zu gucken: Wie geht man mit der schwierigen Erfahrung, allein zu sein und abgelehnt zu werden, um. „Die Frage ist, wie schafft man es, die Zuversicht nicht völlig zu verlieren und sich auch nach einer Trennung gehalten zu fühlen, so dass man das Alleinsein aushalten kann, ohne psychotisch zu reagieren.“
Anke Hinrichs (leicht veränderte Fassung der Originalveröffentlichung von September 2018)