Zuwendungsstopp bedroht
Berliner Gemeindepsychiatrie

Der Berliner Pinel-Verbund als Wimmelbild. Foto: Pinel/ Marcus Wilke

Die Pinel gGmbH, Initiative für psychisch Kranke, feiert ihr 55-jähriges Bestehen. Die gemeinnützige Organisation gehört in Berlin zu den größten freien Trägern im Bereich der ambulanten Psychiatrie. Das Jubiläum nahm der Träger zum Anlass, kritisch in die Zukunft zu blicken, denn die Rahmenbedingungen für die freien sozialen Träger der Hauptstadt werden zunehmend schwieriger. Damit die gemeindepsychiatrische Versorgung betroffener Menschen auch in Zukunft gesichert ist, fordert Pinel mehr Unterstützung seitens der Politik.

Pinel begleitet und unterstützt psychisch kranke Menschen in ihrem gewohnten sozialen Umfeld und hilft ihnen, ihren Alltag zu stabilisieren – auch wenn sie schwerst erkrankt sind. Das Modell der gemeindepsychiatrischen Versorgung ermögliche, Klinikaufenthalte zu vermeiden beziehungsweise nach Entlassung „ein bedarfsgerechtes, wohnortnahes Versorgungsnetz bereitzustellen”. Und die Nachfrage ist groß. Die Zahl psychisch Erkrankter steigt stetig und mit ihr der Bedarf an Therapie- und Betreuungsplätzen“, so der Träger. Auch angesichts der zunehmenden Vereinsamung vieler Menschen wachse die Bedeutung psychosozialer und Beratungsangebote.

Viele Einrichtungen haben Wartelisten

Doch „die gesellschaftlichen, infrastrukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen“ mache es den freien sozialen Trägern zunehmend schwerer, ihren Versorgungsauftrag zu erfüllen und ihre Angebote aufrecht zu erhalten. “Faktoren wie der umfassende Fach- und Arbeitskräftemangel, überbordende Bürokratie, fehlende bezahlbare Wohn- und Gewerbeflächen sowie Kürzungen der Sozialausgaben führen dazu, dass die Schere zwischen Nachfrage und Angebot immer größer wird. Viele Einrichtungen haben Wartelisten, sodass Betroffene manchmal lange auf Unterstützung warten müssen”, berichtet Anke Heinze, Geschäftsführerin der Pinel gGmbH.

Zusätzlich verschärft werde die Situation durch den im Oktober von der Senatsverwaltung für Finanzen verhängten Zuwendungsstopp für das Haushaltsjahr 2025. Dieser gilt zunächst bis zum 30.11.2024. „Der Zuwendungsstopp bedroht die Existenz zahlreicher gemeindepsychiatrischer Einrichtungen und Projekte, weil diese nicht mehr nahtlos weiterfinanziert werden können”, so Anke Heinze. „Davon sind unter anderem die psychosozialen Kontakt- und Beratungsstellen betroffen, die vielen Menschen einen niedrigschwelligen und auf Wunsch anonymen Zugang zum Hilfesystem bieten. Eine verlässliche Planung für das kommende Jahr ist aktuell nicht mehr möglich.”

Pinel fordert, dass der Senat „den Rotstift weglegt und gemeinsam mit den freien Trägern in einen ernstgemeinten Dialog auf Augenhöhe tritt“, um tragfähige Konzepte entwickeln, „die den wachsenden Herausforderungen der Gemeindepsychiatrie auch langfristig gerecht werden und die zugleich Verbindlichkeit und Planungssicherheit für alle Seiten gewährleisten.“

Informations- und Aktionswoche vom 21. bis 28. November

Anlässlich des Jubiläums macht Pinel mit einer Informations- und Aktionswoche auf die Bedeutung und die Erfolge der Berliner Gemeindepsychiatrie aufmerksam und informiert über konkrete Leistungen und Hilfsangebote. Die Feierlichkeiten starteten heute mit einer Fachveranstaltung zum Thema “Gemeindepsychiatrie in Berlin – gestern, heute und morgen“. Vom 25. bis 28.11. erwartet die Berliner*innen ein vielfältiges Programm bestehend aus Informationsangeboten, Lesungen, Theater, Ausstellungen und vielem mehr. Die Veranstaltungen sind kostenlos. Auf www.pinel.de können sich Interessierte über das Angebot informieren.

Über die Pinel gGmbH und den Pinel-Verbund
Gemeinsam mit dem Pinel-Verbund organisiert die Pinel gGmbH gemeindepsychiatrische Hilfen für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Die knapp 500 Mitarbeiterinnen der gemeinnützigen Organisation und ihrer Tochtergesellschaften Pinel Pflege und Pinel Medizin bieten in mehreren Berliner Bezirken ein breites Spektrum wohnortnaher ambulanter und lebensweltorientierter Assistenzangebote für etwa 1.000 Klientinnen. Zum Angebotsspektrum gehören die Bereiche Wohnen, Tagesstrukturierung, Teilnahme am Arbeitsleben, Pflege, medizinische Behandlung und integrierte Versorgung.


Die Geschichte der Organisation begann 1969 in Berlin-Schöneberg als kleiner Verein. Dieser wollte als Bürgerrechtsbewegung auf die Missstände in psychiatrischen Kliniken aufmerksam machen. 10 Jahre nach seiner Gründung eröffnete der Verein die erste therapeutische Wohngemeinschaft für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Dies geschah in einer Zeit, in der Forderungen nach Alternativen zur stationären psychiatrischen Versorgung psychisch Kranker immer lauter wurden. Neue Wege sollten beschritten werden: weg von der Isolation der Betroffenen in Kliniken hin zu bedarfsorientierten ambulanten Angeboten innerhalb ihres sozialen Umfeldes sowie umfassender gesellschaftlicher Teilhabe. In den 1980er und 90ern baute die Organisation ihr Betreuungsspektrum weiter aus und nahm ihre Arbeit in Wilmersdorf, Pankow, Lichtenberg und später auch in weiteren Bezirken auf.

(rd/PM Pinel)