Wenn Psychiatrie
zu den Patienten kommt

Das Modell StäB ermöglicht, dass Klinikteams zu den Patientinnen und Patienten nach Hause kommen. Symbolfoto: AOK-Bilderdienst

Zuhausebehandlung – so lange ersehnt und gefordert, nicht zuletzt von Patientinnen und Patienten, aber auch von Angehörigen. Und die Stationsäquivalente Behandlung (StäB) macht es seit gut drei Jahren gesetzlich im Prinzip jeder Klinik möglich. Umgesetzt wird dies bislang aber noch selten, die Ausbreitung gestaltet sich schleppend. Es gibt Hürden, vor allem mangelt es an Flexibilität, zudem ist die Vergütungslage schwierig bzw. komplex. Nur 40 von insgesamt 400 Psychiatrien in Deutschland bieten StäB inzwischen an, so die Zahl, die bei der Veranstaltung „Quo vadis Psychiatrie“ genannt wurde (s. Bericht im EPPENDORFER 5/21). Der Schwerpunkt liegt klar im Süden, in Baden-Württemberg und Bayern, sowie in Berlin. Doch seit kurzem ist StäB auch in Hamburg gestartet, klein, aber immerhin.

In Hamburgs Asklepios-Klinken machten sich die Chefärzte vor ca. einem Jahr auf den Weg und erarbeiten ein gemeinsames Konzept. Vorreiter sind Harburg, das zuerst startete, und Rissen, wo es im Juli  losging. Wandsbek und Ochsenzoll sollen 2022 folgen, so Prof. Ulf Künstler, der Chefarzt in Rissen ist und sich auch als stellvertretender Vorsitzender im Referat Gemeindepsychiatrie der DGPPN engagiert. In Rissen ging es mit fünf Patienten los – geplant seien 8-10 Plätze. Die Klinik verfüge aktuell insgesamt über 146 stationäre  und 70 Tagesklinikplätze. 

In Harburg habe das StäB-Team inzwischen „Handlungssicherheit und Freude“ entwickelt, so Hans-Peter Unger auf Anfrage, und betreue zur Zeit 6 Patienten. Hier wird zudem an Klimafreundlichkeit gearbeitet: „Jetzt wird ein Elektro-Dienstfahrrad angeschafft“.

Laut Künstler sei StäB z.B. insbesondere für Menschen geeignet, die nicht in die Klinik wollen. Für sie reiche ein Überweisungsschein mit Indikation, daraufhin rückt das StäB Team aus, das in Rissen als Extrateam und nicht, wie bei anderen Kliniken, an eine Station „angedockt” agiere. Klinikbesuche seien nur z.B. für ein MRT nötig, Blut-Entnahmen und auch EKG könnten ambulant erfolgen.

Risiko: MDK-Prüfungen und unklarer Vergütungssatz

Knackpunkt des Ganzen: Ein Vergütungssatz sei noch nicht verhandelt. StäB werde aktuell als unbewertete Leistung abgerechnet. Ein „gewisses Wagnis, da der Satz  nicht feststeht und als Abschlag nicht kostendeckend ist”, so Künstler. Auch die MDK-Prüfungen bieten ein Risiko. Unklar sei in Hamburg zudem, wie StäB im Krankenhausplan verankert werden soll, dies werde in anderen  Bundesländern verschieden gehandhabt. Grundsätzlich seien die Kosten mit denen einer stationären Behandlung vergleichbar,  schätzt Künstler. Aber die Behandlungsmethode sei bei nicht wenigen Patienten effizienter. 

Allgemein kritisch diskutiert wird der vorgeschriebene tägliche Kontakt mit dem Patienten vor Ort an dessen Wohnort. Dies sei sinnvoll  für die Akutzeit. Aber grundsätzlich sei das „Korsett zu eng“, meint Künstler. Es fehle an der Möglichkeit, Übergänge zu gestalten. So könne es nach zwei Wochen sinnvoll sein, die Kontakte zu reduzieren und die Lücke zu einer intensiveren ambulanten Behandlung zu überbrücken. 

Grundsätzlich aber sei StäB ein wichtiger Versorgungsbaustein für chronisch Kranke. Nachdem StäB bei ersten Patienten noch genutzt wurde, um die stationäre Behandlung zu verkürzen –  mit einem Angebot, das mit intensiver Beratung in der eigenen Häuslichkeit, Behördengängen etc. mehr als PIA und TK biete. Später sei es auch stationsersetzend eingesetzt worden.

Nicht geeignet sei die Zuhausebehandlung, wenn Reizabschirmung nötig sei. Besonders gut eigne es sich auch bei chronifizierten Patienten „mit schlechtem Funktionsniveau“. Die Zusammenarbeit mit der Ambulanten Sozialpsychiatrie (ASP) gestalte sich gut. Eine bundesweite Schwierigkeit bleibe, vernünftige Kooperationsverträge mit anderen Trägern abzuschließen.  Für die Teams sei es eine Herausforderung,   im Haus des Patienten zu agieren, der das Hausrecht habe. Dies habe auch zu Sorgen und Ängsten  geführt, weshalb zu Anfang immer Zweierteams losgezogen seien. 

Einen weiteren Vorteil des neuen Angebots sieht Künstler darin, das man damit im Kampf um Personal punkten könne : „Wir müssen mit Inhalten locken“.  Gerade beim Pflegepersonal sei StäB attraktiv. 

Neuer Anlauf für eine Soteria in Rissen

Als weiteres Bonbon kann Künstler demnächst einen neuen Anlauf bieten, auf den er stolz ist: 2023, so hofft er, werde die neue Soteria eröffnet, die aktuell in der konkreten Planung  sei. Eine erste „Station mit Soteria-Elementen“ war 2013 groß eröffnet, der schon nach rund einem Jahr aus wirtschaftlichen Gründen wieder geschlossen worden.  

(A. Hinrichs / Der (nicht aktualisierte) Text erschien erstmals im November in der EPPENDORFER-Printausgabe 6/21 )