Von Honjok
bis Hikikomori

Ein Teil von Honjok ist Honbap: Menschen essen allein in einem Restaurant. Foto: Guian Bolisay

Alleinsein war im Lockdown das Gebot der Stunde. Corona drängte vor allem Singles in die Isolation. Manche verlieren sich dabei in Einsamkeitsgefühlen, leiden an innerer Leere und Verlassenheit. Dabei gibt es auch Menschen, die es scheinbar von Natur aus lieben, allein und selbstbestimmt zu agieren und sogar zu reisen. In Asien gibt es neue Bewegungen, die den Spieß ganz umdrehen.  Sie erklären Alleinsein zum Kult, zu einer positiv konnotierten Lebenshaltung, die jetzt auch hierzulande vermarktet wird und bei der propagiert wird, die Individualität auszubilden und zu feiern – statt gesellschaftlichen Erwartungen zu folgen. Honjok etwa lautet der Name eines südkoreanischen Lebensmodells selbst gewählten Alleinseins. Ein Buch * will vermitteln, wie bereichernd die Innensicht von sich selbst sein könne, welche Chancen zur Selbstfindung und zum Aufbau von Selbstwertgefühl sie bereithalte. 

Die Sehnsucht nach Individualismus als Alternative zum traditionellen Familienleben scheint in den kollektivistischen Kulturen Asiens besonders groß. In Südkorea zählt die Geburtenrate mit 95 Kindern pro 100 Frauen bereits zu den niedrigsten weltweit, und die Zahl der Einpersonenhaushalte wächst und wächst. Hier tauchte 2017 der Begriff Honjok auf, was übersetzt soviel wie Einpersonenstamm heißt. Honjokker verweigern sich den traditionellen Erwartungen, eine Familie zu gründen und die Gemeinschaft über das Individuum zu stellen. 

„Reste-Frauen” und „Tote-Äste-Männer”

Singles wurden in Asien lange verunglimpft. In China wurden sie als „Reste-Frauen“ und „Tote-Äste-Männer“ betitelt, in Japan als „übrig gebliebener Weihnachtskuchen“, so die Autorinnen von „Honjok: die Kunst allein zu leben“*. Honjokker wiedersetzen sich dem und definieren sich als jemand, dem es wichtiger ist, sich selbst treu zu bleiben als sich vor lauter Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu sehr an andere anzupassen. Alleinsein wird hier zum erstrebenswerten Ziel und als Weg aus der Abhängigkeit und zum besseren Kontakt mit sich selbst propagiert. 

Die US-amerikanische Gesundheitsberaterin Francie Healey und die chinesisch-kanadische Journalistin Crystal Tai haben das Phänomen für ihr Buch ausführlich beleuchtet und es zu einem „Manifest für das selbstgewählte Alleinsein“ erklärt. Ein Selbsthilfeteil darf da nicht fehlen. Er soll den Lesern helfen, selbst kleine Honjokks zu werden, die das Alleinsein als Weg, sich mit sich selbst zu befreunden, begrüßen statt es zu fürchten. Hilfreich und nicht neu die Tipps für diesen Weg, die von Meditieren und Spazieren gehen, Tagebuch schreiben und Handwerken bis zu allein ins Café gehen und die Umgebung betrachten reichen. 

Einsamkeit durch Fehlen an Verbindung – nicht Abwesenheit von Menschen

„Einsamkeit kommt von einem Fehlen an Verbindung, nicht von der Abwesenheit von Menschen“, schreiben Tai und Healey – und verweisen auf berühmte Individualisten wie Henry David Thoureau, der die Natur als „wohltätige Gesellschaft“ beschrieb.  

In Südkorea ist es derweil nicht bei Honjok geblieben, es gibt auch Hon-Bap (essen allein), oder Hon-sul (das Trinken allein in einer Bar). Das japanische Äquivalent zu Honjok heißt Ohitorisama. Längst gibt es in Japan Karaoke-Ketten und Restaurants mit  Einzelplätzen, sogar Solo-Bars.

Sologamie: Wenn Frauen sich selbst heiraten ..

Und da geht noch mehr: Sologamie, Selbstheirat. In Japan gelten unverheiratete Frauen noch immer als nicht vollwertige Mitglieder der Gesellschaft. Es gibt japanische Frauen, die sich für mehrere tausend Euro professionell mit sich selbst verheiraten lassen. Wer’s mag … 

Richtig schwierig wird’s, wenn das extrem praktizierte Alleinsein zur Störung wird. Letzteres ist bei einem weiteren asiatischen Phänomen namens Hikikomori (japanisch für „sich einschließen; gesellschaftlicher Rückzug) zu vermuten. Das japanische Gesundheitsministerium definiert als Hikikomori eine meist männliche Person, die sich weigert, das Haus ihrer Eltern zu verlassen und die sich für mindestens sechs Monate aus der Familie und der Gesellschaft in einen Raum zurückzieht. Es soll aber sogar Fälle jahre- oder sogar jahrzehntelangen Rückzugs in die selbst gewählte Isolation geben.                            (hin)

* Crystal Tai, Francie Healey: „Honjok: Die Kunst, allein zu leben“, Ullstein Buchverlage 2020, 165 Seiten, 19,99 Euro.