Von der Droge zum Therapeutikum

Psychedelische Substanzen können Psychosen auslösen, aber auch gegen psychische
Probleme helfen – In Lübeck wird an einer Erforschung der Wirkung von LSD gearbeitet

Warum es wirkt, weiß bis heute keiner so genau. Doch das psychedelische Substanzen nicht nur psychische Probleme (Psychosen) auslösen können, sondern auch gegen bestimmte psychische Erkrankungen helfen können, steht außer Frage. Und nach einer langen Phase, in der halluzinogene Substanzen – als Droge missbilligt bzw. verboten – in der wissenschaftlichen Versenkung verschwanden, erleben vor allem Psilocybin, LSD und MDMA (Ecstasy) sowie Ketamin seit einigen Jahren eine Renaissance in der Forschung. Selbst im bislang konservativeren Deutschland machte sich in den vergangenen Jahren eine zunehmende Offenheit gegenüber den neuen, alten Substanzen breit, scheinen sie doch auch einen Ausweg aus der tiefen Krise der Psychopharmakologie zu bieten, die seit fast 20 Jahren keine wirklich neuen Wirkstoffe hervorbrachte. Beliebt sind die Drogen derweil nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch an der Börse, wo Milliarden an Forschungs- und Risikokapitalgelder locker gemacht werden, was den Hype immer weiter anheizt. 

Zugelassen ist bislang nur Ketamin

Zugelassen ist bislang nur Ketamin, eigentlich ein Narkosemittel, mit dem aber viele schwer Depressive in kurzer Zeit – und für kurze Zeit – aus dem Tief geholt werden können. Doch auch Psilocybin – („magic mushrooms“) – kann gegen Depressionen helfen, wie kleinere Untersuchungen zeigten. Im vorigen Jahr wurde eine deutschlandweit erste größere Studie dazu gestartet. Derweil steht auch die Universität Lübeck in den Startlöchern für eine Psychedelika-Untersuchung. Hier setzt man auf LSD und hofft auf die Genehmigung einer Studie, mit der die Wirksamkeit von aus dem Mutterkorn stammendem Lysergsäurediethylamid auf Patienten mit Persönlichkeitsstörungen evaluiert werden soll. 

LSD gegen Persönlichkeitsstörungen

Ein Fallbericht zeigte bereits Erstaunliches. Es ging um eine 39 Jahre alte Patientin, die nicht nur an einer schweren, bis dato nicht behandelbaren Depression litt, sondern auch an Symptomen einer komplexen Persönlichkeitsstörung. In wöchentlichen Abständen wurden ihr immer höhere Dosen von LSD verabreicht. Und siehe da: Es ging ihr bemerkenswert schnell und in erheblichem Maß besser. Allerdings nur für rund eine Woche. Insofern ähnelte es dem Ketamin. Was die Forscher in Basel vor allem überraschte: Akute Arzneimittelwirkungen, sprich: Rauschzustände, traten nicht auf, wie es die Basler Autoren der Studie beschrieben.  

„Das zeigt, dass die Nebenwirkungen viel geringer sind als ursprünglich angenommen. Das haben auch Studien bei Gesunden mit relativ hohen Dosen gezeigt“, so Prof. Stefan Borgwardt, Ärztlicher Direktor der Universitätspsychiatrie Lübeck. An seiner vorherigen Wirkungsstätte in der Schweiz, wo diese Art von Forschung eine längere Tradition hat,  wirkte er mit an der Erforschung der Wirkung von Psilocybin und LSD auf Angsterkrankungen und Depressionen sowie auf Gesunde und so genannte terminal Erkrankte und zur Unterstützung von Psychotherapie. In Lübeck konkret geplant wurde jetzt eine Studie, in der die positive Wirkung von LSD im Bereich der Persönlichkeitsstörungen im Rahmen einer Hochrisikostudie placebokontrolliert und verblindet getestet werden soll. Keiner weiß, was wer bekommt: 30 Gesunde und 30 Patienten erhalten einmal LSD und einmal ein Placebo. Rekrutierung sei kein Problem, aber auf Deutsche beschränkt. Die Nachfrage sei riesig. „Wir erhalten weltweit Anfragen“, so Borgwardt. Das Genehmigungsverfahren ist langwierig. 

Mit der Höhe der Dosis wächst die Gefahr eines „Bad Trips”

Dr. Mihai Avram hofft auf einen Beginn in einem Jahr. Notfallsettings im Hintergrund und enge Begleitung während des gesamten „Trips“ sind ein Muss. Die konkrete Dosis stehe noch nicht fest. Die Substanz mache sich ab 25 mg bemerkbar, ab 50 träten psychedelische Phänomene auf, oft würden 100 bis maximal 200 mg gegeben, erklärt Avram. Mit der Höhe der Dosis wächst auch die Gefahr eines „Bad Trips“. Falls negative Wirkungen auftreten, werde versucht, einen Bezug zur Realität zu schaffen, auftretende Angst ebbe mit der Zeit ab. Die Probanden werden  24 Stunden von geschulten Kollegen begleitet. Das macht Studien auch so teuer. LSD-„Sessions“ dauern zweimal so lange wie solche mit Psilocybin. Ein Grund für die vergleichsweise wenigen LSD-Studien. „Je kontrollierter des Setting, desto kleiner die Chance, dass die Erfahrung unangenehm wird“, so Avram. Und die Umgebung spielt offenbar auch eine Rolle für die Erfahrungen des Probanden, hat sich herausgestellt. Daher wird für eine gemütliche „Wohnzimmeratmosphäre“ gesorgt. Daher sprechen sich die Lübecker Experten auch vehement gegen eine Legalisierung dieser Substanzen aus. 

LSD kann Psychosen auslösen

Gefährlich und Ausschlusskriterium ist vor allem eine Psychose. Da LSD auch konkret psychotische Zustände auslösen kann, werden für die Studie auch Gesunde mit Psychosekranken in unmittelbarer Verwandtschaft ausgeschlossen. Auch suizidale Menschen werden nicht aufgenommen. „Je instabiler der Mensch, desto höher die Wahrscheinlichkeit eines Bad Trips“, warnt Avram. Als „besonders spannend“ bezeichnet er die Frage, ob die veränderten Wahrnehmungen, die die Probanden während der Sitzung machen, für eine langfristige Verbesserung nötig seien – oder ob es an der Substanz selbst liegt. 

Ketamin ist kein „Wundermittel“

Das atypische Psychedelikum Ketamin ist bereits gängiges, zugelassenes Therapeutikum, das in Lübeck im Schnitt einmal pro Woche bei behandlungs- resistenten Patienten mit Depression eingesetzt wird und schon nach wenigen Stunden antidepressiv wirkt. Prof. Klaus Junghanns spricht von „leichtem Unwirklichkeitsempfinden“. Reguläre Antidepressiva benötigen bekanntlich bis zu drei Wochen bis sie wirken. Patienten, die auf reguläre Therapien nicht ansprechen, können zwischen EKT und Ketamin wählen. Ein Wundermittel ist jedoch auch diese, seit vorigem Jahr auch als Nasenspray verabreichbare Substanz nicht: Circa 50 Prozent sprächen auf Ketamin an. Weiteres Problem: die kurze Wirkdauer von ca. einer Woche. „Daher ersetzt Ketamin keine Antidepressiva.“ Aktuell werden Eckdaten gesammelt, um herauszufinden, wer darauf anspricht. Junghanns tippt auf „Schlafmuster“ als Kennzeichen für eine höhere Ansprechwahrscheinlichkeit. 

Es sind die durchgreifenden Effekte in kurzer Zeit, die alle psychedelischen Substanzen so attraktiv machen – auch ohne die Wirkweise zu verstehen. Die klassisch serotonergen Substanzen haben gegenüber Ketamin nochmal den Vorteil, dass die Vision dahin geht, eine einmalige Gabe zu verabreichen, deren Wirkung dann etwa ein Jahr anhalten könnte. Spannend sei der Kontext zur Psychotherapie, so Stefan Borgwardt: „Das Charmante“ an den Substanzen sei, dass sie eine Brücke darstellen könnten zwischen Psychotherapie und Psychopharmakotherapie, indem das, was die Substanz hervorruft, als „Stoff“ für die Therapie genutzt und dort bearbeitet werde. 

Borgwardt dämpft aber auch überhöhte Erwartungen – auch mit Blick auf finanzielle Interessen, die sich mit dem an Börsen heiß gehandelten Thema verbinden. Wenn es gut läuft, sagt er, werde es eine weitere Behandlungsoption für Patienten, die auf anderweitige Behandlung nicht ansprechen – und/oder vielleicht EKT nicht wollen. „Es wird keine Standardbehandlung für alle werden.“  

Wirkung von Psychedelika wird auch mit bildgebenden Verfahren untersucht

Mehr über den Wirkmechanismus soll derweil ein weiterer Forschungsbereich bringen, bei dem die Wirkung von verschiedenen Psychedelika neurobiologisch mit bildgebenden Verfahren untersucht wird. So wurden die Hirne von gesunden Basler Konsumenten von Psilocybin und LSD kernspintomographisch aufgenommen, eine Auswertung der Unterschiede steht noch aus. Ein Vergleich der Hirnbilder von gesunden LSD-, Amphetamin- und Ecstasykonsumenten zeigte: Der Effekt auf die Verbindung zwischen kortikalen Arealen und Thalamus (wichtige Regionen, um sensorische Infos zu filtern) sei sehr stark erhöht. Bei LSD sogar stärker, was mit einer Änderung der Wahrnehmung in Richtung veränderter Wahrnehmung korreliere. „Das spiegelt zum Teil das, was man auch aus dem Bereich der Psychose kennt“, so Borgwardt, und zwar im Zusammenhang mit Positivsymptomen (Wahnhalluzinationen etc.). Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass relevante Aspekte der Psychose (z. B. positive Symptome wie Halluzinationen) teilweise mit Psychedelika wie LSD gezeigt (modelliert) werden können.   

                  Anke Hinrichs (Originalveröffentlichung EPPENDORFER 2/22)

(Mehr zum Thema auch in der  Studie von Müller F, Kraus E, Holze F, Becker A, Ley L, Schmid Y, Vizeli P, Liechti ME, Borgwardt S.: Flashback phenomena after administration of LSD and psilocybin in controlled studies with healthy participants. Psychopharmacology (Berl). 2022 Jan 25. doi: 10.1007/s00213-022-06066-z. Epub ahead of print. PMID: 35076721)