Transgender: Zwischen Liberalisierung und Gegenoffensive

Für eine wachsende Zahl an Menschen ist das augenscheinliche Geschlecht nicht mehr der Maßstab ihrer Identität. Rein biologisch tragen Männer und Frauen in unterschiedlichen Ausprägungen männliche und weibliche Geschlechtsaspekte in sich.  Die Zahlen derjenigen, die sich nicht mehr mit ihrem bei Geburt eingetragenen Geschlecht identifizieren können oder wollen, steigen seit einigen Jahren – wobei der Umfang des Anstiegs umstritten ist. In der Kritik v.a. von Betroffenen stehen aktuell sowohl das (derzeit auch in Deutschland durch ein britisches Gerichtsurteil beeinflusste) Verfahren zur medizinischen Geschlechtsangleichung als auch das zur Änderung des rechtlichen Geschlechts. Eine offene Baustelle auch für eine neue Regierungskoalition …

In Deutschland legt seit dem 1. Januar 1981 das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) die Voraussetzung für eine Personenstandsänderung fest. Es gilt als veraltet und ist in Teilen verfassungswidrig. Betroffene kritisieren es als unwürdig.  Eigentlich wollte die Große Koalition noch in dieser Legislaturperiode eine Neufassung auf den Weg bringen. Doch das Vorhaben ist im Mai gescheitert. So müssen trans Menschen auch weiterhin eine dreijährige Erprobungsphase im anderen Geschlecht abwarten und zwei psychiatrische Gutachten sowie eine gerichtliche Anerkennung ihres neuen Geschlechts vorlegen, bevor ihre selbst empfundene Identität mitsamt geänderten Namen in den Ausweis und weitere Dokumente eingetragen werden kann. 

Abschaffung des Transsexuellen-Gesetzes scheiterte im Mai

Die Abschaffung des Transsexuellengesetzes scheiterte letztlich an der Frage, wie weit die Reform gehen soll. Am weitesten gingen hier die Grünen und die FDP, die in einem Selbstbestimmungsrecht festschreiben wollen, dass Geschlechtseintrag und Änderung der Vornamen Selbstdefinitionssache sein soll und kein Mitwirken des gesetzlichen Vertreters voraussetzt.  Bei körperverändernden Maßnahmen gilt in Deutschland aktuell die Empfehlung, Kinder unter 16 Jahren nicht ohne das Einverständnis ihrer Eltern zu behandeln. Hormone werden in der Regel ab dem 16. Geburtstag verschrieben, zu Operationen raten Ärzte erst nach der Volljährigkeit – auch weil danach lebenslang Medikamente eingenommen werden müssen. 

Heftiger Widerstand gegen Liberalisierung von Feministinnen

Heftiger Widerstand gegen eine Liberalisierung regt sich derweil in Kreisen von Frauenrechtlerinnen. Feministinnen sprechen von Medikalisierung und Verstümmelung von Jugendlichen und fürchten ein Eindringen in ausschließlich Frauen vorbehaltene Räume, etwa den Zugang von biologischen Männern, die sich als Frauen definieren, zu Frauenumkleiden oder – toiletten oder in Frauengefängnisse. Für Irritation in feministischen Bereichen sorgen zum Beispiel Menschen wie Alex Drummond, ein Fotograf und Autor, der einen Bart trägt und männliche Geschlechtsorgane hat, sich aber als lesbische Frau definiert. Feministinnen verweisen auch gern auf den unter trans Menschen viel kritisierten Kinderpsychiater Dr. Alexander Korte, der von einem Trans-Hype oder einer Modeerscheinung gerade unter Mädchen spricht und vor frühen Eingriffen mit Hormonen oder OP’s warnt. Trans biete Jugendlichen mit anderen Problemen eine neue Identifikationsschablone, um Leiden in akzeptierter Form Ausdruck zu verleihen. Geschlechtsdysphorie sieht er als moderne Störung, die teils an die Stelle von Magersucht trete. 

Kinderpsychiater spricht von „Trans-Hype”

Auch in Nachbarländern gibt es Liberalisierungs-Gegenbewegungen. So wurde in Schweden ein Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz vor kurzem zurückgezogen, ähnliches vollzog sich in Großbritannien. Hier erging im Dezember 2020 auch ein folgenreiches, historisches Urteil. Der High Court gab der 23-jährigen Keira Bell Recht, die vermutlich als weltweit erstes Transkind eine Klinik verklagt hatte, deren Ärzte ihr als 16-Jähriger Pubertätsblocker und als 17-Jähriger Testosteron gaben und ihr mit 18 die Brüste amputierten – was sie später bereute und teils rückgängig machen ließ. Jugendliche seien mit größter Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage, die Tragweite und Risiken der Einnahme von Pubertätsblockern zur erfassen und ihre Zustimmung dazu zu geben, so das Gericht. Ein weiteres Urteil gewährte dann aber doch Erlaubnis von Pubertätsblockern für unter 16-Jährige – wenn die Eltern einwilligen. 

Befürworter einer frühen Behandlung in Richtung Geschlechtsangleichung verweisen u.a. auf das hohe Suizidrisiko von Menschen mit fehlender oder beeinträchtigter Übereinstimmung von Geschlechtsidentitätserleben mit den Geschlechtsmerkmalen des Körpers (Geschlechtsdysphorie). Eine große US-amerikanische Untersuchung habe für transgeschlechtliche Personen über 18 Jahre neun Mal häufiger Suizidversuche festgestellt als dies in der Gesamtbevölkerung der Fall ist, heißt es in einer Großen Anfrage der grünen Bundestagsfraktion. Ein Review internationaler Forschungsliteratur von 2016 stellte demnach hohe Raten von suizidalem, selbstverletzendem Verhalten für transgeschlechtliche Personen fest, und zwar in einer Größenordnung von 17 Prozent bis 42 Prozent.  Anke Hinrichs