Tierisch beste Freunde

Vom Kuscheln und Oxytocin: Warum sich Mensch und Hund so gut verstehen

Seit über 30.000 Jahren sind Mensch und Hund eng verbunden. Canis lupus familiaris wurde dem Menschen nicht nur zum unersetzlichen Arbeitspartner und Jagdgefährten – er wurde auch zum Freund. Wie eng die Bindung zwischen beiden ist, zeigen der Psychologe Christoph Jung und die Humanmedizinerin Daniela Pörtl in ihrem anregenden Buch „Tierisch beste Freunde“.

Die Bindung hat archaische Wurzeln und reicht bis in die Eiszeit zurück, als sich Jägerclans und Wolfsrudel auf freiwilliger Basis zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenfanden. Aber wie konnte aus dem wehrhaften, wilden Wolf unser Freund und Partner werden? Die Autoren erzählen die spannende Domestikationsgeschichte, decken hündische und menschliche Gemeinsamkeiten auf und machen deutlich, das Menschen ihre Hunde mehr brauchen als gedacht. Denn unser Partner auf vier Pfoten macht uns gesünder – und einfach glücklicher.

Abrupt hat das zarte Schnarchen aufgehört. Stattdessen vernehme ich das Plätschern von Wasser, ein Schlabbern und Grunzen. Als ich kurz darauf aufschaue, blicken mich vier Mopsaugen erwartungsvoll an. Was folgt ist Routine: ein Sprung aufs Sofa, auf dem ich liege, das Drängeln zwischen meine Beine, das Ablegen des Kopfes auf denselben und zufriedenes Weiterdösen. Carlo und Caruso, meine beiden – leider nicht erzogenen – Mopsrüden haben es sich gemütlich gemacht – und mir wieder einen Schub an Glückshormonen beschert. Und ich frage mich: Warum empfinde ich so viel für diese beiden kleinen Kerle? Christoph Jung und Daniela Pörtl können diese Frage beantworten. Sie haben der Hund-Mensch-Bindung nachgespürt, viele Studienergebnisse gesichtet und ihre Erkenntnisse dankenswerter Weise in einem Buch zusammengefasst: „Tierisch beste Freunde“ ist eine Hommage an unseren geliebten Vierbeiner und ein Plädoyer, mit dieser Freundschaft pfleglich umzugehen. Das gemeinsame Kuscheln macht Hund und Mensch glücklich. Es senkt den Stress, „indem es gleich einen ganzen Cocktail beruhigender Hormone als Gegenspieler zum Cortisol freisetzt“, wie die Autoren schreiben.

Die Hautreize führen im Gehirn zur Ausschüttung von Serotonin, welches in der Amygdala und im Hippocampus angstlösend und antidepressiv wirkt. Zudem scheinen Studien zu belegen, dass durch den Körperkontakt bei Hund und Mensch der Oxytocinspiegel signifikant ansteigt. Oxytocin ist ein Bindungshormon, das etwa die vertrauensvolle Bindung zwischen Mutter und Kind festigt – und eben auch die Bindung zwischen Mensch und Hund. Es fördert prosoziales Verhalten und reduziert Stress und lässt Tiermütter den Nachwuchs unter Einsatz des eigenen Lebens verteidigen. Es fördert allerdings auch Eifersuchtsverhalten, ein Verhalten, welches jeder Hundebesitzer von seinen Lieblingen kennt. Eine japanische Forschergruppe veröffentlichte 2015 eine Studie zum Zusammenhang zwischen Oxytocin und Augenkontakt. „Es ist bekannt, dass intensiver Augenkontakt in vertrauten menschlichen Sozialsystemen eine wichtige Rolle spielt. Es wird vermehrt Oxytocin ausgeschüttet und so über Aktivierung des endogenen Belohnungssystems die soziale Bindung der Menschen untereinander gefestigt.

Die Forscher konnten nun nachweisen, dass es diese oxytocinvermittelte Gefühlsrückkopplung auch zwischen Halter und Hund gibt“, heißt es bei Jung und Pörtl. Sowohl bei den Hunden wie bei den Haltern stieg bei langen gegenseitigen Blicken in die Augen die Oxytocinkonzentration an, so wie man es auch bei der Mutter- Kind-Bindung kennt. Ein weiterer Hinweis, dass sich der Hund emotional in das Sozialsystem des Menschen integriert habe. „Es ist der erste Nachweis eines zwischenartlichen selbsterhaltenden Oxytocin- Regelkreises überhaupt“, schreiben die Autoren. Oxytocin festige die Bindung zwischen den Sozialpartnern, fördere den vertrauensvollen Zusammenhalt sowie die soziale Lernfähigkeit in der Gruppe und unterstütze die Kleingruppe gegen Fremde. „Über seine stressreduzierende Wirkung ist es gesundheitsförderlich und begünstigt Lern- und Sozialverhalten. Und fördert gleichzeitig die Fähigkeit zur sozialen Interaktion und Empathie der Gruppenmitglieder untereinander.“ Glücksgefühle stellen sich aber auch bei Bedürfnisbefriedigung ein. So haben wir ein Motivationssystem, das uns antreibt, nach positiven Erlebnissen und Erfahrungen zu streben. Es veranlasst genau dann die größte Freisetzung an Belohnungshormonen, wenn das eingetretene Ereignis unerwartet positiv ausfällt. Schon bei Vorfreude beginnt das Gehirn Dopamin auszuschütten.

Das Glücksgefühl bei Erfüllung der Bedürfnisse wird durch körpereigene Morphine hervorgerufen. Aber auch positive soziale Reize aktivieren das Belohnungssystem, schaffen ein Verlangen und eine Sehnsucht nach sozialer Nähe und sichern so das Brutpflegeverhalten. Dopamin ist also der Stoff, der Sehnsüchte weckt, er ist aber auch ein Botenstoff, der es erleichtert, Sehnsüchte in motorische Bewegungen umzusetzen. Serotonin, Oxytocin und Dopamin festigen also die Bindung von Mensch und Hund. Und diese Bindung wirkt sich für den Hundehalter ausgesprochen positiv aus: Viele Studien bestätigen mittlerweile, dass der gute Kontakt zum Hund zu vermehrter sozialer Interaktion, besserem Sozialverhalten, verminderter Aggression, verbesserter Lernfähigkeit, verbesserter Empathie, mehr Ruhe, aufgehellter Stimmung, besserer Schmerzbewältigung, weniger Angst und weniger Stress führt und somit mit einer verbesserten Gesundheit einhergeht. Das hat auch volkswirtschaftliche Auswirkungen: Das Gesundheitswesen profitiert von der Hundehaltung, u. a. auch dadurch, dass ältere Hundebesitzer seltener zum Arzt gehen als Gleichaltrige ohne Hund. Den segensreichen Einsatz von Therapiehunden, die zur Verbesserung der Gesundheit von Kranken beitragen, muss man hier gar nicht mehr erwähnen.

Weitere Beispiele für die innige Hund-Mensch-Beziehung gefällig? Unter Menschen ist die emotionale Nähe das Maß dafür, wie ansteckend das unbewusste Gähnen ist. Studien zeigten: Je enger die emotionale Bindung der Menschen ist, desto öfter wurde mitgegähnt. Die Häufigkeit der Gähnattacken entspricht dem Empathiemuster der sozialen Bindungen. Japanische Forscher veröffentlichten 2008 eine Untersuchung, die zeigte, dass sich Hunde durch menschliches Gähnen anstecken lassen. Andere Forscher zeigten später, dass sich Hunde vom Gähnen des eigenen Besitzers leichter anstecken lassen als von einem unbekannten Menschen. „Hund und Mensch sind emotionale Bindungspartner, zwischen ihnen gelingt artübergreifend empathisches Mitfühlen und Handeln“, schreiben die Autoren Pörtl und Jung. Das heißt: Ein Hund kann fühlen, wie sich ein Mensch fühlt. Es sind die Spiegelneuronen, die uns befähigen, zu verstehen, wie unsere Gruppenmitglieder handeln und empfinden. Dadurch wird der Weg zu Kommunikation und Kooperation gebahnt. Auch wenn Spiegelneuronen explizit bisher nur bei Menschen und Primaten nachgewiesen wurden, geht man nun davon aus, dass auch Wölfe und Hunde als hochsoziale Säugetiere über ein Spiegelneuronensystem verfügen. Spiegelneuronen sind auch die neuronale Basis für die kognitive Empathie, also etwa die innere Vorstellung von den Handlungsabsichten eines Gruppenmitglieds. Die Beobachtung des Jagdverhaltens eines Wolfsrudels zeigte, dass die Tiere nicht nur durch Stimmungsübertragung im gleichen Jagdfieber waren, sondern auch sehr genau wussten, was die anderen Rudelmitglieder als nächsten Schritt unternehmen würden, was auf Erfahrung und Lernvorgängen basierte. Diese innere Vorstellung von den Handlungsabsichten eines Gruppenmitglieds bezeichnet man als Theorie des Geistes.

Dieses Verständnis gibt es auch zwischen Hund und Mensch, denn z.B. auch Hütehund und Hirte sind etwa ein eingespieltes Team, das zusammenarbeitet, wo jeder auch eigenständig zweckgerichtet für ein gemeinsames Ziel handelt. Gut dokumentiert ist die Geschichte eines spanischen Hirtenjungen, der 1954, völlig in der Wildnis auf sich allein gestellt, von einem Wolfsrudel adoptiert, beschützt und mit Fleisch versorgt wurde – und das jahrelang. Im Tierreich ist dieses Verhalten gegenüber Menschen einmalig. Die Erklärung: Die Wölfe kannten den Jungen bereits über längere Zeit durch Beobachtung, er war kein Feind oder Fremder für sie. „Auf der Grundlage artübergreifender emotionaler Empathie konnte eine Wölfin die Notlage des Jungen erspüren und näherte sich ihm fürsorglich. Gebahnt wurden diese Reaktion und die Aufnahme des Jungen als Mitglied des Wolfsrudels durch die Funktion der Spiegelneuronen, die empathisches Verstehen und damit auch enge soziale Bindung ermöglichen“, so Jung und Pörtl. Der Hund versteht den Menschen. Seine Begriffe, Gesten, Blicke. Es liege nahe, so die Autoren, dass die Hunde auch das Bellen entwickelt haben, um sich Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Menschen zu schaffen – Wölfe bellen nur sehr selten, und dann kurz. Das Hundegehirn verarbeite menschliche Stimmen ähnlich wie das Menschengehirn.

Seine Anpassung an den Menschen sei einzigartig. Aber wie sieht es umgekehrt aus? Hat der Wolf bzw. der Hund auch den Menschen verändert? Vieles spricht dafür. Der Hund habe einen großen Anteil an der Höherentwicklung des Menschen, meinen Jung und Pörtl. Denn die Kooperation mit dem Wolf/Hund hatte dramatische Auswirkungen: Der Mensch hatte durch die gemeinsame Jagd mehr hochwertige Nahrung zur Verfügung und durch den Schutz seines Partners mehr Sicherheit. Für die Sinnesleistungen waren nun weniger geistige Ressourcen nötig, die an anderer Stelle genutzt werden konnten. Das menschliche Gehirn veränderte sich. Der Weg zum Zivilisationssprung war geebnet.