Suchtforscher kritisieren
politisches „Versagen”

Deutschland ist ein „Hochkonsumland" bei Alkohol und Tabak. Foto: J. Bredehorn / www.pixelio.de

Suchtforscher haben der Bundesregierung Versagen in der Drogenpolitik vorgeworfen. Es fehle „an einer schlüssigen und wissenschaftsbasierten Gesamtstrategie”, heißt es in dem  in Berlin vorgestellten 6. Alternativen Drogen- und Suchtbericht. Nötig seien Initiativen zur Drogenprävention, die von den Bundesländer aufgenommen werden können. Gefordert wird auch die Einrichtung eines Nationalen Sucht- und Drogenbeirates als Beratungsgremium ähnlich der Schweizer Kommission für Suchtfragen. Herausgeber des Berichts sind der Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik Akzept e.V. und die Deutsche Aids-Hilfe. 

Der bisherigen Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), werfen die Autoren vor, „viel zu oft auf kompetente externe Beratung verzichtet” zu haben. Mortler ist nach mehr als fünf Jahren im Amt Anfang Juli als Abgeordnete in das Europäische Parlament gewechselt. Für einen Neuanfang seien grundsätzliche Veränderungen im Amt nötig, sagte der geschäftsführende Direktor des Instituts für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences, Heino Stöver. Nötig sei unter anderem, dass der oder die künftige Drogenbeauftragte der Bundesregierung parteipolitisch unabhängig ist. 

Mortler sei es nicht gelungen, ressortübergreifende Strategien zu verfolgen. Wissenschaftliche Erkenntnisse seien weitgehend unbeachtet geblieben, sagte Stöver. So sei Deutschland weiterhin ein Hochkonsumland bei Alkohol und Tabak. 30 Prozent der Erwachsenen rauchten, in Großbritannien seien es nur 15 Prozent. 

Bei 75 Prozent der Fälle häuslicher Gewalt war Alkohol im Spiel

„Wir trinken zehn Liter reinen Alkohol pro Kopf pro Jahr, wobei auch Babys und ältere Menschen mit eingerechnet sind”, warnte der Suchtforscher. Von 400.000 Fällen häuslicher Gewalt stünden 75 Prozent im Zusammenhang mit Alkohol – genauso wie 7,5 Prozent aller tödlichen Autounfälle. In den Bereichen Alkohol und Tabak habe Deutschland noch nicht einmal die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) umgesetzt. 

Zugleich gebe es aber bei der Strafverfolgung von Konsumenten illegaler Substanzen ein „Allzeithoch”, heißt es weiter im Bericht. Dabei seien von mehr als 350.000 Rauschgiftdelikten, die die Polizei 2018 registrierte, fast 80 Prozent sogenannte konsumnahe Delikte zum Eigenbedarf gewesen, betonte Dirk Schäffer von der Deutschen Aidshilfe. 

Der Alternative Drogen- und Suchtbericht plädiert dafür, positive Erfahrungen aus dem Ausland hinsichtlich der Entkriminalisierung illegaler Substanzen, der Tabakregulierung, der Preispolitik für Alkohol, des Werbeverbots für Alkohol und Tabak zu prüfen. Das gelte auch für das sogenannte Drug-Checking, bei dem Konsumenten etwa in Clubs orts- und zeitnah Drogen, die sie einnehmen wollen, von Experten auf gesundheitliche Risiken hin überprüfen lassen können. So habe etwa Österreich damit gute Erfahrungen gemacht. Auch der Berliner Senat verfolgt derartige Pläne. 

Akzept-Vorstandsvorsitzender Stöver sprach sich auch für die Freigabe sämtlicher Drogen in geringen Mengen aus. „Wir fangen bei Cannabis an, aber ich würde dann mit Heroin, Kokain und anderen Substanzen weitermachen”, sagte er der “Welt” (Freitag). Bei Cannabis plädiere er für 30 Gramm Freimenge pro Person, Fachgeschäfte und Aufklärung. „Auch bei anderen Drogen sollte man so verfahren”, sagte Stöver. 

Er verwies dabei auf das Beispiel Portugals. Dort dürfe man eine gewisse Menge von allem bei sich haben. „Wird man von der Polizei erwischt, wird man verwarnt, muss sich über Drogen informieren”, sagte der Sozialwissenschaftler. Diese Politik habe dazu geführt, dass Portugal das Land mit den wenigsten Drogenabhängigen im Knast sei. Drogennutzer würden nicht mehr kriminalisiert. (epd)