Pneumenzephalographie an Heimkindern: Eine gefährliche Qual für die Betroffenen, diagnostischer oder therapeutischer Gewinn gleich Null – und trotzdem eine in den 1950er- und 1960er-Jahren durchaus gängige Praxis, obwohl die Methode bereits damals nicht unumstritten war. Die Wiesbadener Filmemacherin Sonja Toepfer hat dieses bisher wenig bekannte Kapitel deutscher Heimgeschichte der Nachkriegszeit mit ihrem Dokumentarfilm „Kopf Herz Tisch 3 – Die psychiatrisierte Kindheit“ aufgegriffen. Im Mittelpunkt stehen die Anstalten Hephata im hessischen Treysa, wo sie neben Medikamentenmissbrauch auch die Praxis der Pneumenzephalographie in jenen Jahren thematisiert.
Bei der Pneumenzephalolagraphie wird mit einer langen Nadel erst Gehirnflüssigkeit abgelassen, um dann die Schädelhohlräume mit Luft zu füllen, um detailliertere Hirnröntgenaufnahmen zu machen. „Für die derart untersuchten Heimkinder war es eine Tortur“, so Sonja Toepfer. Befürworter der Methoden hingen der seinerzeit durchaus gängigen Auffassung an, dass psychische Auffälligkeiten nicht durch Lebensumstände sondern durch hirnorganischen Veränderungen hervorgerufen werden. Ergo könnten weder Psychotherapie noch Erziehung helfen. „Die Anordnung einer Pneumenzephalographie war eine Sache der inneren Haltung“, so Sonja Toepfer. Die Befürworter seien noch nationalsozialistischer Ideologie verhaftet gewesen, viele von ihnen seien in der NS-Zeit an der Erstellung von Erbgesundheitsgutachten beteiligt gewesen. Ob die Untersuchungen auch zu reinen Forschungszwecken durchgeführt wurden, ist noch umstritten.
Sonja Toepfer hat „Kopf Herz Tisch 3“ im Auftrag der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gedreht. Die Filmemacherin arbeitet weiter am Thema, jetzt ohne institutionelle Unterstützung. Als Crowdfunding-Projekt will sie Hirnuntersuchungen an Heimkindern im Nachkriegsdeutschland weiter aufdecken. (Infos: www.startnext.com/medizin-ohne-mitleid). Ausschnitte von „Kopf Herz Tisch 3“ wurden erstmals im Rahmen der evanglischen Kirchensynode in Frankfurt (26. Bis 28. April gezeigt. (gö)
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