Viele Menschen erkranken im Alter an Depressionen. Psychotherapien wirken nach Erfahrung von Ärzten auch bei ihnen gut, aber es mangelt an spezialisierten Gerontopsychiatern. Und oft wird die Krankheit gar nicht erst erkannt.
Der Patient war schon weit über 80 Jahre alt: Er klagte immer wieder über Übelkeit, Schmerzen im Unterleib und eine schlechte Verdauung. Was zunächst nach einer organische Erkrankung aussah, entpuppte sich als Altersdepression, erzählt Ärztin und Psychologin Forugh Dafsari: „Bei alten Menschen werden die üblichen Symptome einer Depression wie gedrückte Stimmung, Antriebslosigkeit und Schlafstörungen oft noch von körperlichen Beschwerden überlagert.”
Bei Menschen über 65 Jahren mit psychischen Problemen sei deshalb eine genaue Diagnostik entscheidend. Dies ist eine der Aufgaben der Spezialambulanz für Altersdepression an der Uniklinik Köln *, an der Forugh Dafsari als leitende Ärztin arbeitet.
Wenn Menschen über 65 Jahren depressiv werden, hängt das oft mit dem Ende des Berufslebens und Schicksalsschlägen zusammen: Sie kommen in der Rente nicht damit klar, vermeintlich nicht mehr gebraucht zu werden. Hinzu kommen Verlusterlebnisse durch den Tod des Partners oder von Freunden und die Furcht vor dem eigenen Sterben. Lang verdrängte Traumata aus der Kindheit – etwa durch Kriegserlebnisse – führen zu Angstzuständen.
Wie viele Menschen an Altersdepressionen leiden, ist angesichts der schwierigen Diagnostik nicht eindeutig zu sagen: Dafsari schätzt, dass rund 40 Prozent der Menschen über 65 Jahren schon depressive Symptome hatten oder an einer depressiven Episode litten. In Pflegeheimen seien es sogar bis zu 50 Prozent.
Tatsächlich werde derzeit aber nur bei rund acht Prozent der Menschen über 65 eine Depression auch wirklich diagnostiziert. Oft bleibe die Krankheit wegen der körperlichen Begleiterscheinungen jahrelang unerkannt und werde gar nicht oder falsch behandelt.
Ein Grund dafür liegt auch darin, dass es bundesweit einen Mangel an Fachärzten für Psychiatrie gibt, die sich auf Altersdepression spezialisiert haben. Das stellt die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie – und psychotherapie (DGGPP) fest.
Bundesweit arbeiten laut Statistik der Bundesärztekammer insgesamt rund 11.000 Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie ambulant und stationär. Nur rund 400 von ihnen haben ein spezielles Zertifikat der DGGPP und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie erworben, das ihnen umfangreiche Kenntnisse in der Erkennung und Behandlung von Menschen mit Altersdepression bescheinigt.
„Für junge Ärzte in der Ausbildung gibt es vielleicht eine Hemmschwelle, einen Menschen psychotherapeutisch zu behandeln, der 40 oder 50 Jahre älter ist und viel Lebenserfahrung hat”, sagt Michael Hüll, Chefarzt an der Klinik für Alterspsychiatrie und Psychotherapie in Emmendingen bei Freiburg. Es sei notwendig und wünschenswert, dass mehr junge Psychiater in ihrer Ausbildung erlebten, dass die Behandlung älterer Menschen wirksam und erfolgversprechend sei.
Denn die Depression zählt neben der Demenz zu den häufigsten psychischen Erkrankungen im Alter. Und sie kann lebensbedrohliche Folgen haben: Die Gefahr von Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt laut Studien, das Suizid-Risiko nimmt gerade bei älteren Menschen deutlich zu.
Doch selbst im hohen Alter kann eine Depression gelindert und geheilt werden – auch, wenn die medizinische Herausforderung eine andere ist als bei jungen Menschen. „Sehr wichtig ist bei der Diagnose auch die Abgrenzung zur Demenz”, erläutert Dafsari. Deshalb wird in der Regel das Gehirn untersucht und Laborwerte werden sorgfältig geprüft. Depressive alte Patienten sind in der Regel nicht so desorientiert wie Demenzkranke, mitunter ist das Kurzzeitgedächtnis noch besser intakt und einige können auch Datum und Uhrzeit richtig angeben.
Ältere Menschen schlechter mit Antidepressiva behandelbar
Anders als lange behauptet helfen bei alten, depressiven Menschen nicht nur Medikamente – im Gegenteil. Der Psychotherapie kommt eine besondere Bedeutung zu, weil ältere Menschen offenbar weniger gut auf die Behandlung mit Antidepressiva ansprechen oder auch Wechselwirkungen mit Tabletten gegen körperliche Leiden drohen. „In der Regel wird daher die medikamentöse mit der psychotherapeutischen Therapie kombiniert”, erläutert Dafsari. Erste, neue Pilot-Studien zeigten eine hohe Wirksamkeit, wenn alte Menschen psychotherapeutisch behandelt würden.
Diese Ergebnisse prüft jetzt noch einmal die Uni Köln. Unter der Leitung von Frank Jessen, Professor und Direktor der Klinik für Psychologie und Psychotherapie, läuft dort das derzeit weltweit größte Forschungsprojekt zur Psychotherapie der Altersdepression. Dabei werden rund 250 Patienten mit einer spezifisch für ältere Menschen entwickelten verhaltenstherapeutischen Methode behandelt.
An der Studie hat auch der über 80-jährige Patient von Forugh Dafsari teilgenommen. Die Kombination aus medikamentöser Behandlung und Psychotherapie war bei ihm wirksam. „Er ist aktuell gesund und ohne Depression”, freut sich die Ärztin und Psychologin. (epd)
*Die Spezialambulanz für Altersdepressionen der Uni Köln ist für eine Terminabsprache Montag – Donnerstag 13:30 – 15:30 erreichbar unter 0221/ 478-3377, E-Mail altersdepression@uk-koeln.de