Philipp F. hielt sich
offenbar für “auserwählt”

Der Königreichsaal im Allgäu, wo Philipp F. als Kind in eine Zeugen-Jehova-Gemeinschaft geriet. Foto: screenshot/youtube/NDR

Der Amokläufer, der am 9. März in einer Versammlung der Zeugen Jehovas in Hamburg sieben Menschen und sich selbst tötete, hielt sich offenbar für auserwählt von Gott. Das legen Recherchen von STRG_F (NDR für Funk) und t-online nahe. Philipp F. litt demnach offenbar unter einer Persönlichkeitsstörung “mit narzisstischen Anteilen”, habe  ein psychologisches Gutachten ergeben, das nach der Tat von den ermittelnden Behörden in Hamburg in Auftrag gegeben wurde und STRG_F* vorliegt. Es basiere auf einer Analyse des Buches, das der Amokläufer kurz vor der Tat veröffentlicht hatte und in dem er sich mit religiösen Thesen beschäftigt. Noch unklar sei, ob Philipp F. auch an einer Form der Schizophrenie litt, mit der möglicherweise Wahnvorstellungen und Halluzinationen einhergingen. 

Eine ausführliche Analyse des Buches erhärte den Verdacht auf gravierende psychische Probleme und die Annahme, dass Philipp F. sich als “Auserwählter” sah. So endet das Buch mit einem lateinischen Text. Dort steht übersetzt: “Ich kam, ich sah, ich kämpfte, ich leistete Widerstand, ich kämpfte, ich siegte. Ich bin Geschichte geworden. Ich bin der große Sohn der Himmel.” Interessant sei hier der Plural “die Himmel” (caelis), wird Walther Ludwig, Professor für Lateinische Philologie zitiert. Dies sei vermutlich eine Anspielung auf das Matthäus-Evangelium. Jesus bezeichnet sich dort selbst als Sohn des “Vaters, der in den Himmeln ist” (pater meus qui est in caelis). Der spätere Attentäter mache sich so zum “Bruder von Jesus”, so Ludwig. In seinem Buch schreibt Philipp F. an anderer Stelle: Es sei Gott, der sich ihm gezeigt habe und ihm eine “Mission” aufgegeben habe, um die Lügen der Religionen offenzulegen und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Außerdem ist die Rede von einer Stimme, die ihm zugeflüstert habe.

2021 informierte der Vater den Sozialpsychiatrischen Dienst

Ein naher Verwandter von Philipp F. erklärte gegenüber STRG_F, die Familie habe Veränderungen bei Philipp F. festgestellt – der sich 2020 sogar mal psychiatrische Hilfe, auch in einer Klinik geholt haben soll – und ihn gebeten, sich Hilfe zu holen. Er habe das aber nicht wahrhaben wollen. Aus dem Hamburger Innenausschuss wurde bekannt, dass Philipp F.s Vater dann am 16. Juni 2021 den sozialpsychiatrischen Dienst informiert hatte, weil sein Sohn “Stimmen” gehört habe. Darauf sei lediglich ein Gespräch gefolgt, weitere Maßnahmen seien nicht eingeleitet worden.

Offenbar hatte sich der Bruder des Täters außerdem bereits Anfang Januar 2023 beim Hanseatic Gun Club gemeldet, um auf Veränderungen von Philipp F. hinzuweisen. Dort hatte Philipp F. das Schießen trainiert. Ein Sprecher des Clubs erklärte, dass man die zuständige Waffenbehörde über die Warnung informiert habe. Weiter heißt es in der Pressemitteilung des NDR: „Am 24. Januar 2023 gab es eine anonyme Warnung direkt bei der Waffenbehörde, in der explizit von Schizophrenie die Rede war. Diese anonyme Warnung wurde offenbar nicht mit einer vorangegangenen Meldung des Gun Club in Zusammenhang gebracht. Derzeit sollen Ermittlungen klären, ob die erste Warnung des Gun Clubs korrekt bearbeitet wurde.“ Ein Beamter sei in diesem Zusammenhang offenbar versetzt worden, berichtete die ZEIT.

Es gab also etliche Hinweise auf beachtliche psychische Probleme bei Philipp F.. Der Gutachter, der im Auftrag der Hamburger Polizei das Buch analysiert hat, komme zusätzlich zum Schluss: Sollte tatsächlich eine Schizophrenie vorgelegen haben, ließe sich daraus “eine grundsätzliche Gefährlichkeit ableiten”. Welche Informationen die Polizei und die dort angesiedelte Waffenbehörde tatsächlich vorliegen hatten, wird nun ermittelt. (rd/PM NDR)

*STRG_F wird vom NDR für funk produziert. funk ist das Online-Content-Netzwerk der ARD und des ZDF, das sich insbesondere an Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 29 Jahren richtet.

Mehr Informationen zur Recherche “Amoklauf in Hamburg: Hätte die Tat verhindert werden können?” auf dem STRG_F Youtube-Kanal.

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