Party, Drogen
und Psychosen

In Trance ... Foto: privat

Nüchternes erstes Mal. Der Joint verrauchte folgenlos. Der zweite folgte bald. Florian Reisewitz‘ Freundeskreis war Marihuana gegenüber nicht abgeneigt. Es dauerte nicht lang, und der 16-Jährige genoss das Kraut Zug um Zug – es bescherte ihm Spaß, Freude und Entspannung. „Mit 17 wurde ich zum regelmäßigen Kiffer“, erinnert sich der heute 45-Jährige an den Beginn seiner Drogenkarriere, bei ihm auf fatale Weise gekoppelt mit psychischer Krankheit. „Von Goa nach Walsrode – Auf Drogen und Psychosen“ lautet denn auch der Titel seiner Erinnerungen. Seinerzeit kam er mit der Goa-Szene in Berührung, einer Musik-Szene, die eng mit dem Konsum von psychedelischen Drogen verknüpft ist. Parallel entwickelte sich in ihm eine Psychose, die ihn in den Folgejahren häufig in die Psychiatrie nach Walsrode führen wird. Mit dem Buch macht Reisewitz ohne Beschönigung seine Krankengeschichte öffentlich. Die Landesstelle Psychiatriekoordination Niedersachsen (LSPK) hatte ihn kürzlich zu einer Online-Lesung eingeladen.

Es sollte nicht lange dauern, bis die Goa-Partys – und damit der Drogenkonsum – heftiger wurden. Nach seinem Abitur leistete der mittlerweile 19-Jährige seinen Zivildienst ab. Nach den Wochenendfeten gab es die ersten unerwünschten Nebenwirkungen mit Konzentrationsstörungen und zunehmender Labilität. „Leider ignorierte ich alle Warnsignale“, erinnert sich Florian Reisewitz. Er kündigte damals alte Freundschaften auf, sein Wesen veränderte sich: Der eigentlich Schüchtern wurde extrovertiert. „Für Kritik war ich nicht mehr erreichbar. Ich experimentierte ganz bewusst mit Droge.“ In seiner niedersächsischen Heimatkleinstadt fand er vom damals noch kaum erforschten Ecstasy zum LSD, „eine Pappe für 20 Mark“. Die Disco-Schwarzlichteffekte waren so richtig nur mit LSD zu genießen. Warnungen von Freunden verpufften. „Mit jeder Grenzüberschreitung kam ich mehr in Fluss“, berichtet er. Während seines Zivildienstes durchlebte er in Amsterdam seine erste schizoaffektive Psychose. „Ich redete wirres Zeug, war desorientiert.“ Freunde brachten ihn dazu, nach Hause zu fahren, doch die Episode wurde schlimmer – und bescherte ihm seinen ersten Krankenhausaufenthalt. Eine depressive Phase folgte: wochenlange Antriebslosigkeit, Gefühle der Aussichtslosigkeit, suizidale Gedanken.

„Die Drogen haben es nur beschleunigt”

Allerdings sieht Reisewitz den Drogenkonsum nicht als eigentliche Ursache seiner psychischen Krankengeschichte. Schon als 14-Jähriger hätten ihn depressive Anwandlungen ergriffen, „das war mehr als lediglich jugendlicher Weltschmerz“. Im späteren Leben wäre er wahrscheinlich auch ohne Drogen erkrankt, „die Drogen habe es nur beschleunigt“. Nach seiner Psychose in Amsterdam ereilten ihn zwei weitere Schübe und mehrere psychiatrische Behandlungen. „Mit Ausnahme vom Kiffen war ich längere Zeit ab von Drogen“, erinnert er sich. Nach einer Party mit LSD-Keksen kehrte die Psychose mit Macht zurück. Vier Mal binnen eineinhalb Jahren kam er in die Psychiatrie. Ein Teufelskreis, ein Drehtüreffekt. „Meinen bisher letzten Schub hatte ich mit 32, obwohl ich zu dem Zeitpunkt keine Drogen mehr genommen hatte“, so der heute 45-Jährige. Damals stand er kurz vor Abschluss seines Studiums, stand auch privat unter Stress. Wahnvorstellungen packten ihn, ein Krankenwagen brachte ihn nach Walsrode. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es mich noch einmal derart kalt erwischt.“

Über die Ambulante Psychiatrische Pflege fand er den Weg ins Berufsleben

„Wie können Freunde und Angehörige eigentlich helfen?“, wollte Mareile Deppe, die zusammen mit Anna Menze – beide LSPK – die Lesung moderierte, wissen. Das Umfeld sollte sich, so Reisewitz informieren, aber bei Ausbruch wahnhafter Gedanken weder bestätigen noch widersprechen, sondern neutral bleiben. Hilfreich seien auch Vorschläge über behutsame Hilfsangebote: Angehörige und Freunde können sich beispielsweise in Selbsthilfegruppen Infos und Ratschläge holen.“ Reisewitz hob außerdem den hohen Stellenwert des Erfahrungsaustauschs mit anderen Drogenerfahrenen hervor, auch für das eigene Krankheitserleben. Er habe eine ganze Reihe von Hilfen in Anspruch genommen: von offenen psychiatrischen Stationen, beruflicher Rehabilitation und betreutem Wohnen bis zur Soziotherapie und – einmalig versuchter – Psychotherapie. Am hilfreichsten und motivierendsten sei seit 20 Jahren sein Neurologe, zu dem er ein enges Vertrauensverhältnis habe, sowie die niedrigschwelligen, begleitenden Angebote der Soziotherapie und die Ambulante Psychiatrische Pflege (APP). 

Nach abgebrochenem Studium fand er über die APP den Weg ins Berufsleben auf dem zweiten Arbeitsmarkt, erst in Lüneburg als Verkäufer in einer Bäckerei, dann in einer Bremer Werkstatt. Aktuell befindet er sich in einer dreijährigen Umschulung zum Fachinformatiker. Ob er sich heute gesund fühle, wollten die Moderatorinnen wissen. „Ja. Aber ich habe sozusagen ein Männchen im Ohr, das mir schon mal ,Paß auf!‘ oder ,Pausiere mal!‘ sagt. Ich höre dann darauf.“ 

Wohlwissend um die eigene Verletzlichkeit habe er das Buch geschrieben, so Reisewitz, um auch anderen Betroffenen und deren Angehörigen Mut zu machen – was ihm offensichtlich auch gelungen ist. In der abschließenden Diskussionsrunde meldete sich ein alkoholabhängiger Teilnehmer zu Wort: „Ich sehe Sie als Vorbild für mich. Dafür, dass man auch aus einem tiefen Tal wieder herauskommt. Ich ziehe meinen Hut vor Ihnen.“ Michael Göttsche

Florian Reisewitz: „Von Goa nach Walsrode – Auf Drogen und Psychosen“, Psychiatrie-Verlag (BALANCE Erfahrungen), Köln: 2019, ISBN: 9783867391245, 184 Seiten, 15 Euro.

(Artikel erschien erstmals in der aktuellen EPPENDORFER-Printausgabe 3/22)