Frühere Kollegen beschreiben die Angeklagte im Prozess um die Gewalttat mit vier Toten im Potsdamer Oberlinhaus als aufopfernd und liebevoll. Überlastung bei der Arbeit und erpresserisches Verhalten der Leitung seien an der Tagesordnung gewesen.
Die Gewalttat im Potsdamer Oberlinhaus Ende April sorgte deutschlandweit für Entsetzen. Mit einem Messer soll die Angeklagte in der diakonischen Einrichtung in Potsdam vier schwerstbehinderte Menschen getötet und eine weitere Frau schwer verletzt haben.
Der Zeuge hatte sechs Jahre lang im Rahmen eines sogenannten Minijobs an Wochenenden mit der Angeklagten Ines R. im Oberlinhaus gearbeitet. Sie sei mit ihrer Zuverlässigkeit und Umsicht eine „perfekte Kollegin“ gewesen, sagte er vor dem Potsdamer Landgericht aus. Aus Angst vor Kündigung habe er sich geweigert, auf ihre Anregung hin eine Überlastungsanzeige zu unterzeichnen.
Personalschlüssel habe sich drastisch verschlechtert
Andere Kollegen der Angeklagten berichteten vor Gericht, der Personalschlüssel habe sich in den Monaten vor der Tat drastisch verschlechtert. Statt mindestens drei Mitarbeiter pro Schicht seien von November 2020 an häufig nur zwei im Einsatz gewesen. „Es war eine Katastrophe“, sagte Elisabeth H..
Überdies sei es normal gewesen, bis zu sieben Tage ohne Unterbrechung zu arbeiten. Trotz Überlastungsanzeigen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei mit der Begründung, es seien nicht ausreichend finanzielle Mittel dafür da, keine Leasing-Kräfte hinzugezogen worden. Die Angeklagte habe mehrfach darauf hingewiesen, dass sie nicht mehr könne, zuletzt zwei Wochen vor der Tat.
Die ehemalige Pflegedienstleiterin Kerstin G. sagte, die Hausleitung habe von psychischen Problemen der Angeklagten gewusst. Sie widersprach damit Aussagen Verantwortlicher der Einrichtung. Diese hatten am ersten Prozesstag angegeben, keine Kenntnis davon gehabt zu haben, dass die Angeklagte Ines R. sich 2018 mehrere Wochen in einer Klinik für psychosomatische Erkrankungen behandeln ließ.
„Sie meinte, sie kann nicht mehr”
Der Pfleger Gino Z. sagte vor Gericht aus, er habe die Angeklagte kurz vor der Tat im Dienst in sehr schlechter Verfassung gesehen: „Sie meinte, sie kann nicht mehr, selbst nach dem Urlaub.“
Eine Wirtschaftshilfe und weitere Pfleger berichteten, dass aktuell wieder mehr Mitarbeitende auf der betroffenen Station im Einsatz seien, anstatt zwei bis drei pro Schicht vier bis fünf. Auch Supervision sei mittlerweile möglich.
Die Gewalttat im Potsdamer Oberlinhaus Ende April sorgte deutschlandweit für Entsetzen. Zum Auftakt des Prozesses hatte die angeklagte langjährige Mitarbeiterin über ihre psychischen Beeinträchtigungen und Personalmangel in der diakonischen Einrichtung berichtet. Die 52-Jährige muss sich wegen Mordes und weiterer Straftaten verantworten. Die Staatsanwaltschaft geht von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit aus. Für Donnerstag ist der Ehemann der Angeklagten als Zeuge geladen. (epd)
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